Drachentau
hätte. Jetzt, wo er erwacht ist, kommt die Gefahr wieder näher und damit auch die Erinnerung. Denkt nur einmal an unsere gute, alte Emma. Die Wunden, die ein Drache schlägt, gehen tief und manche heilen nie.«
»Auch ein verwundetes Leben ist ein Leben«, antwortete Jakob. »Wir alle lieben unser Dorf und wollen hier nicht weg. Dennoch ist es ein berechtigter Einwand, die Nerven liegen blank, schon bei dem Gedanken, Tumaros könnte angreifen. Aber wir können nur gehen oder einen Weg finden, zu bleiben.«
Jakob sah Emilia an. Sie erwiderte seinen Blick.
So überlegte der Rat noch eine Weile hin und her, jeder meldete sich mal zu Wort und jeder war mal ratlos.
Schließlich band Mischa den Sack zu. »Also, ich fasse zusammen: Jeder packt ein Paket mit dem Nötigsten, das wir alle zusammen außerhalb des Dorfes verstecken. Wir bauen dort auch ein kleines Gehege mit Hühnern und Ziegen, die wir reihum versorgen. Jede Nacht hält einer Wache an der großen Glocke und schlägt Alarm, wenn er den Drachen sieht. Wir bauen uns ein Versteck im Wald, in das wir fliehen können. Bodo kümmert sich um die Organisation. Ich werde jeden Tag auf den Dorfplatz kommen und für die da sein, die Fragen haben oder besorgt sind. Würdest du auch dazu kommen, Jakob?« Mischa schaute Jakob an.
»Muss wohl sein«, antwortete Jakob, der den Gedanken daran nicht sehr verlockend fand.
»Du schaffst das schon, Jakob«, zwinkerte Emilia ihm zu. »Der einsame Bär muss auch mal ins Licht«.
Jakob schaute sie an. Er wusste, was sie meinte. »Der einsame Bär ist für das Licht zu alt«, antwortete er.
»Und ich? Bin ich auch zu alt?«
»Du?« Er sah in ihre offenen, geradlinigen Augen. »Du bist für gar nichts zu alt.« Das war das schönste Kompliment, das ein wortkarger, ruppiger Bär machen konnte. Emilia lächelte und blickte auf den Boden.
Gegen Mittag schlug wieder die Glocke und die Bären versammelten sich erneut auf dem Dorfplatz. Der Ratschluss wurde verkündet. Niemand hatte einen besseren Vorschlag und so war er schnell angenommen. Dass Mischa und Jakob täglich zu sprechen waren, beruhigte sogar Hühner-Emma. Bodo würde am Nachmittag zu den Hütten gehen und die Fluchtwege besprechen. Zwei Bären wurden gewählt, die geeignete Verstecke im Wald suchten und für einen längeren Aufenthalt vorbereiteten. Es half etwas zu tun, denn letztendlich waren sie gegen den Drachen doch machtlos. Das wusste jeder. Aber sie waren sich einig: Wir werden unser Dorf nicht verlassen.
Bodo wohnte ebenfalls im Mittelweg, etwas näher am Dorfplatz. Er hatte seit drei Jahren dort seine eigene Hütte. Auf dem Heimweg ging er ein Stück mit Jakob.
»Kann ich heute Abend bei dir vorbeischauen?«, fragte Bodo ihn.
»Du bist in meiner Hütte immer willkommen«, antwortete Jakob. »Aber noch lieber hätte ich dich als Schwiegerenkelsohn. Ich frage mich, wann du Rosa endlich einen Antrag machst?«
Bodo zog die Augenbrauen hoch. »Lieber gestern als heute. Sagtest du nicht, Rosa wäre noch nicht so weit? Woher der plötzliche Sinneswandel? Ein gutes Wort zur falschen Zeit macht mehr kaputt, als es nützt, so waren deine Worte. Es hat doch nicht etwa mit dem Drachen zu tun?«
Jakob war selbst von seinem Vorstoß überrascht. »Warte nicht zu lange. Nicht, dass du den richtigen Zeitpunkt verpasst. Ihr habt das beste Alter zum Heiraten.«
»Was ist los, Jakob? So kenn ich dich gar nicht. Ist alles in Ordnung mit Rosa?«
»Natürlich ist alles in Ordnung. Wir sehen uns heute Abend.« Jakob nickte kurz und trat den Rest seines Heimweges allein an.
Bodo schaute ihm nachdenklich hinterher.
Rosa war schon zu Hause, als Jakob heimkam. In der Pfanne schwenkte sie Rühreier und warf ihm nur einen kurzen Blick zu, als er die Hütte betrat. Jakob hätte gerne schweigend seine Mahlzeit eingenommen, aber er musste mit Rosa über Tumaros reden. Doch als sie dann am Tisch saßen, besprachen sie, wie jetzt weiter vorzugehen sei. Was sollten sie packen, wo war ein gutes Versteck und: Ist der Drache wirklich so gefährlich?
»Ja! Ist er!« Mehr sagte Jakob bis zum Abend nicht, müde vom vielen Reden.
Rosa räumte den Tisch ab und ging in den Garten. Hühner fütternd, Unkraut jätend, auf ihrer Bank sitzend dachte sie über Tumaros nach. Ist er wirklich so gefährlich?
Wir bleiben!
An diesem Tag hatte niemand im Dorf Zeit für ein Schwätzchen. Alle Bären waren in ihren Hütten beschäftigt. Es wurden kleine Koffer herausgeholt, das Nötigste eingepackt,
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