Drachentau
schön.« Das letzte Wort kam leise.
»Er ist ein Ungeheuer! Das Grausamste, das du dir vorstellen kannst. Nein, tausendmal grausamer, als du zu denken in der Lage bist.« Er ging auf Rosa zu, packte sie beim Arm und blickte ihr fest in die Augen, spürte wie fasziniert sie war. »Hüte dich davor, einem Drachen in die Augen zu blicken. Hörst du! Wenn du das tust, bist du verloren. Dann gehörst du ihm und niemand kann dir helfen.«
Jakob ließ sie los. Rosa schwieg und blickte auf den Boden. Aber ihr Herz raste noch immer. Sie hatte den Drachen gesehen. Er war schön, unglaublich schön.
Ich muss ihn noch einmal sehen,
dachte sie und blickte zum Fenster.
Nur noch einmal.
Jakob setzte sich an den Küchentisch und stützte die Hände auf. Was sollte er tun? Tumaros war aufgewacht. Sofort Alarm schlagen? Das ganze Dorf wecken und damit alle in Panik versetzen? Würde Tumaros heute Nacht noch einmal kommen, wenn er einen neuen Angriff plante? Sollte er besser auf Eschagunde warten und sich mit ihr beraten, bevor er alle informierte? Konnte er dieses Wissen denn für sich behalten? Morgen das Dorf zusammenrufen und gemeinsam beraten?
Ja, so mache ich es. Morgen in aller Frühe rufe ich sie zusammen. Dann werden wir sehen, was zu tun ist. Hätte Tumaros uns vernichten wollen, hätte er es heute Nacht getan.
»Lass uns schlafen gehen, Rosa, heute können wir nichts mehr tun.«
Jakob stand auf und ging in seine Schlafstube. Rosa war es recht, dass er schwieg. Ihre Gedanken waren beim Drachen. Tumaros! Gewaltig. Schrecklich. Schön.
Tumaros flog über den Finsterwald auf den einsamen Berg zu, segelte um ihn herum und landete im Höhleneingang. Er blickte zurück zum Mühlendorf. In seinem Bauch regten sich völlig neue Gefühle, beinahe zitterte er. In Gedanken sah er sie noch immer vor sich, diese wunderschöne Bärenfrau. Er musste sie haben. Sie war der Schatz, nachdem er gesucht hatte. Sie sollte seine Drachenhöhle schmücken. Mit so einem Juwel würde er bei der nächsten Drachenversammlung König werden. Der jetzige König würde sie von ihm fordern. Dann würde er einen Kampf verlangen und gewinnen. Er war schon lange stärker. Aber ohne Grund durfte niemand gegen den König kämpfen.
Sie ist mein Grund,
dachte Tumaros.
Dann bin ich König und die Bärenfrau habe ich obendrein.
Er legte sich auf seinen Schlafplatz und schloss zufrieden die Augen. Doch er konnte nicht einschlafen. Immer wieder gingen seine Gedanken zu Rosa. Schließlich schmiedete er einen Plan.
Ab jetzt werde ich jede Nacht über das Dorf kreisen. Irgendwann werde ich in ihre Augen sehen und sie verzaubern. Dann gehört sie mir!
Damit schlief er ein und der ganze Drache träumte von Rosa.
In der Frühe, kurz vor Sonnenaufgang, stand Jakob auf und weckte Rosa. Ohne Frühstück gingen sie zum Dorfplatz. Jakob schlug die Alarmglocke so wild, als könnte er den Drachen damit vertreiben. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Bären angelaufen kamen mit fragenden, beunruhigten Gesichtern. Jakob läutete unbeirrt weiter, bis auch der letzte Bär auf dem Dorfplatz stand. Dann wurde es still. Alle blickten auf Jakob. Jakob blickte auf seine Bärenfreunde.
»Was ist los? Warum schlägst du in aller Frühe Alarm?« Die Frage kam von Mischa, dem Dorfältesten. Er war in Jakobs Alter, hatte dunkelbraunes Fell, war etwas fülliger, aber nicht dick und trug stets eine schwarze Lederhose. Seine Augen waren entschlossen.
»Tumaros ist erwacht! Letzte Nacht ist er über unser Dorf geflogen. Rosa und ich haben ihn gesehen.«
Ein Aufschrei ging durch die Menge. Die Bären redeten wild durcheinander. Manche fingen an zu weinen. Hühner-Emma schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Emilia legte den Arm um sie.
Jakob wartete, bis die Menge sich beruhigt hatte. Dann sprach er weiter. »Wir müssen überlegen, was zu tun ist. Wenn wir alle durcheinanderreden, kommt niemand zu Wort. Ich schlage vor, dass wir zehn auswählen, die sich beraten. Nach Mittag treffen wir uns wieder und teilen euch unsere Pläne mit. Außerdem sollten die schnellsten Bären als Boten zu den anderen Dörfern laufen, um sie zu warnen.«
»Und wenn Tumaros bis dahin angreift? Sollten wir nicht lieber fliehen?«, wandte Emilia ein.
Jakob blickte sie an. Emilia war seine heimliche Liebe. Sie war sehr sportlich und überaus klug, wusste über jeden etwas Gutes zu sagen und ihr leicht ergrautes Haar war sehr elegant. Würde er sich nicht für die Liebe zu alt finden, hätte er ihr
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