Drachentau
Schule ging und das Dorf ihn finster anstarrte. »Ich wollte meiner Mutter helfen, aber ich konnte nicht. Oft habe ich gedacht, es wäre meine Schuld, dass sie so verbrannt wurde«, erzählte Bernhard mit schwerer Zunge. »Ich habe mich entsetzlich geschämt, ein Drachenbär zu sein. Das Dorf hat uns gehasst.«
»Und trotzdem bist du jetzt ihr Förster und sie wissen nur Gutes über dich zu berichten.«
Bernhard und Bernadette schauten sich lange in die Augen und ihre Blicke sagten sich, was ihre Münder nicht auszusprechen wagten. Noch nicht.
Am Abend verabschiedeten sie sich mit einer Verabredung für den nächsten Tag. Sie verstanden einander und das Band zwischen ihnen wurde mit jedem Tag fester. Auch Bernadette erzählte ihre Geschichte, die nicht weniger traurig war.
»Ich bin noch nie so verstanden worden«, sagte Bernhard, »außer von Letizia.«
Sie ließen sich Zeit, gingen weite Wege durch den Wald, redeten, erzählten, schwiegen und genossen einander. Jeder Schritt war Balsam für die noch immer wunden Seelen.
Als der Herbst schon in satten Farben leuchtete, nahm Bernhard Bernadettes Hand und sah ihr tief in die Augen. »Willst du mich heiraten, Bernadette?«
Ihre Augen funkelten. »Ja, Bernhard, das will ich.«
»Kannst du dir vorstellen, mit mir in meiner Hütte zu leben, in meine kleine Welt zu kommen?«
»Ja, das kann ich.«
»Ist dir meine Hütte nicht zu klein?«
»Sie ist perfekt. Genau so würde ich sie mir bauen.«
Bernhard zog sie in seine Arme und sie küssten sich zum ersten Mal. Ihre Lippen waren warm und weich und beinahe hätten sie vergessen, wieder aufzuhören.
So fand Bernhard nach langer Suche sein inneres Zuhause. Bernadette zog zu ihm in die Hütte, nachdem Mischa sie verheiratet hatte. Das Dorf hieß die neue Frau Förster herzlich willkommen und der Nachwuchs ließ nicht auf sich warten. Ihr viertes Kind, ein Mädchen, hatte blaue Augen.
Voller Stolz nahm Bernhard sie hoch und betrachtete sie. »Wir nennen sie Patrizia, Bernadette. Was sagst du?«
»Ja«, antwortete Bernadette lächelnd, »Patrizia ist ein schöner Name. Sie hat sehr viel Ähnlichkeit mit dir.«
Der Vollmond tauchte die Schlafstube von Bernhard und Bernadette in ein helles, gespenstisches Licht. Noch benommen von ihrem Traum setzte Bernadette sich auf. Bernhard lag ruhig atmend neben ihr. Sie betrachtete seine entspannten Gesichtszüge. Das Mondlicht brachte seine Stirn zum Glitzern, wie sie es noch nie gesehen hatte. Plötzlich wurde sie gewahr, wie sich Tauperlen auf seiner Stirn bildeten, größer wurden und silbrig glänzend an seiner Schläfe hinunterliefen. Bernadette holte rasch ein kleines Gefäß, fing die Tropfen darin auf und betrachtete sie im Mondlicht. Wie von Silberstaub durchwirktes Wasser sahen sie aus.
»Das ist Drachentau«, sagte Bernhard, als Bernadette ihm das Fläschchen am Morgen zeigte. Er probierte einen Schluck davon. »Ja, kein Zweifel. Den haben wir bei Vollmond auf dem Panzer meines Vaters gefunden. Er hat Heilkräfte. Auf meiner Stirn war er?«
»Ja, auf deiner Stirn.«
»Und du hast ihn gesammelt. Was habe ich doch für eine kluge Frau.«
Von da an sammelte Bernadette den Tau in jeder Vollmondnacht, ging damit ins Dorf zu den Kranken und brachte ihnen Linderung. Hühner-Emma bekam ihn, damit ihre Seele gesund würde und so verwandelte sie sich wieder in die patente Bärin, die sie einmal war. Aber Bernhards Freundin wurde sie nie. Auch Letizia trank den Tau und er löste den Schutzzauber der goldenen Kekse. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie dem Werben Edgars nachgab und seine Frau wurde.
Man braucht fast nicht zu erwähnen, dass der Holzgewinn aus dem Wald dem Dorf viel Wohlstand brachte, die Bären ihre Hütten vergrößerten und sich eine neue Mühle bauten. Für die schönen Korbmöbel und die herrlichen Kleider aus Rosas Manufaktur wurde Mühlenau bis über die Grenzen des Landes hinaus bekannt.
Von Zeit zu Zeit streifte Eschagunde durch ihren Wald. Mit goldener Blätterkrone, denn sie hatte einen Drachen besiegt. So stand ihr die höchste königliche Würde zu und Birkalinde trat diese an Eschagunde ab. Sie freute sich, dass ihre Hilfe in Mühlenau nicht mehr gebraucht wurde. Manchmal dachte Bernhard, wenn er zwischen zwei Bäumen ein grünes Blättergewand flattern sah, er hätte eine Waldfee gesehen. Dann winkte er Eschagunde zu und sie winkte, unsichtbar für ihn, zurück.
Der Mond war hinter einer Wolkendecke gefangen und die Nacht versank in ein
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