Drachentochter
ohnehin töten. Er wird alle Drachenaugen töten.« Er blickte mir in die Augen, doch außer wahnsinnigem Hass schien von ihm nichts geblieben zu sein. »Er hat mir erzählt, was es mit dir auf sich hat, Eon. Und was er mit dir anstellen wird. Du hast furchtbares Unglück über uns alle gebracht.« Mit Händen wie Krallen wollte er mich packen, doch Ryko drückte ihn auf den Boden.
»Er steht völlig unter dem Einfluss des Sonnenpulvers«, sagte er zu mir. »Holt das Buch. Wir müssen hier raus.«
Tief erschrocken über Dillons Bosheit, rappelte ich mich auf und schob mich am Lesetisch entlang. Hinter mir hörte ich, wie Ryko ihm versicherte, wir würden ihn befreien, und wie Dillon in eine wirre Schimpftirade über Idos Macht verfiel. Die zehrende Aura der Bibliothek bereitete mir Kopfweh. Gewiss litt Dillon ähnliche Qualen.
Ich erreichte die schlichte Holzvitrine am Kopfende des Saals und rechnete damit, dass das rote Buch nicht da wäre – so wenig wie mein Drache.
Doch es war da, neben dem schwarzen Buch. Mich fröstel te; schon der Anblick des zweiten Buchs ließ Übelkeit in mir hochsteigen. Ich öffnete den Glasdeckel und nahm den roten Band. Als wären sie plötzlich geweckt worden, bewegten sich die schwarzen Perlen, wanderten blitzschnell in meinen weiten Ärmel und banden es mit einem Klicken an meinen Unterarm. Eine Woge des Triumphs ließ mich schwanken. Das Buch gehörte mir, nicht Ido.
Ich strich über das Ende der Perlen und versuchte, die dunklere Kraft auszublenden, die noch immer in der Vitrine lag. Doch ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich griff mit der linken Hand hinein, zögerte aber über dem schwarzen Leder. Die weißen Perlen, die das Buch umgaben, bewegten sich. Mir kam Rykos Aufschrei in den Sinn, als er das Buch hatte nehmen wollen, doch ich durfte es nicht hierlassen.
Ich schnappte das Buch, hielt es mit gestrecktem Arm von mir weg und erwartete, dass die Perlen mir einen Schlag verpassen würden. Und tatsächlich holten sie wuchtig aus, schwärmten dann aber plötzlich über meinen Seidenärmel und banden mir das schwarze Buch an den anderen Unterarm.
»Habt Ihr es?«, wollte Ryko wissen.
»Ja«, krächzte ich. Warum hatten die weißen Perlen mich nicht angegriffen? Behutsam zog ich an ihrem Ende, doch sie schlangen sich nur fester um mich.
»Dann lasst uns von hier verschwinden«, sagte er und zog Dillon auf die Beine. Die Haltung des Jungen deutete daraufhin, dass etwas mit ihm ganz und gar nicht stimmte.
»Mir geht’s gut«, sagte Dillon grob und stieß Rykos Hände weg.
Der Insulaner trat einen Schritt zurück. »Ich nehme an, Ihr schafft es durch den Drachenzauber, oder?«
»Ido saugt meine Macht aus, doch ich kann immer noch über meinen Drachen gebieten.« Dillons Stimme war leise und bösartig.
Die beiden drehten sich zu mir um, als ich aufgebracht auf sie zukam.
»Er nimmt dir deine Macht?«, fragte ich. War es das, was er mir angetan hatte? War niemand davor sicher?
Dillon nickte und wies auf das schwarze Buch. »Er hat es daraus gelernt.« Dann lächelte er und entblößte dabei die Zähne wie ein verwundetes Tier. »Es wird ihm nicht gefallen, es zu verlieren.«
Ryko musterte das Buch unbehaglich. »Gut, dass wir es nun haben. Vielleicht lässt es sich gegen ihn einsetzen.«
Er trieb uns zur Tür. Dillon lief voraus, denn er konnte es kaum erwarten, aus seinem Gefängnis zu kommen. Ich folgte ihm und Ryko bildete die Nachhut. Mein Kopfweh wurde schwächer, je weiter ich mich von der Bibliothek entfernte. Als wir über die zweite Schwelle nach draußen traten, legte Ryko mir die Hand auf die Schulter.
Dann traf mich etwas so heftig gegen die Brust, dass die Luft aus meiner Lunge gepresst wurde. Ich stürzte auf alle viere und konnte nicht atmen. Trotz meiner Panik sah ich, dass Ryko erneut der Täuschung des Rattendrachen erlegen war und sich vor Schmerzen krümmte. Ein scharfer Stich schoss durch meinen Arm. Mir fehlte die Luft zum Schreien.
»Lass los!«
Ich blinzelte: Es war Dillon, der mich anschrie und an dem schwarzen Buch zerrte.
Er war es auch, der mich geschlagen hatte.
Endlich konnte ich wieder atmen und holte tief Luft. Im gleichen Moment schwang Dillon mir ein Bein über den Leib, setzte sich auf meine Brust und grub die Finger unter die weißen Perlen an meinem Unterarm.
»Was machst du da?«, keuchte ich und bäumte mich auf. Er landete mit voller Wucht auf meiner Hüfte, was mir wie ein glühend heißer Sperr durch das kaputte Bein
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