Drachentochter
dunkel schimmernden Lache. Der andere starrte in den Nachthimmel hinauf. Es war schwer, seine Züge im schwachen Mondlicht zu erkennen, denn der Tod hatte Stirn, Wangen und Kiefer zu einer Parodie der Trauer verzerrt. Doch als ich mir das maskenhafte Gesicht belebt vorstellte, wusste ich, dass es Hollins Kopf war. Und der schwere Körper daneben war der Leib von Lord Tyron. Ich erkannte das Gewand. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht loszuheulen. Die letzte Hoffnung, dass ich mich getäuscht haben mochte und Ido die anderen Drachenaugen nicht tötete, war dahin.
»Stopft diesen Weibern das Maul«, rief eine raue Stimme. »Und schafft die Leichen von der Straße.«
Ein Soldat tauchte auf. Ich schob mich vorsichtig ins Gesträuch zurück, als weitere fünf Männer erschienen und die Frauen mit Fußtritten von den Toten vertrieben.
Am liebsten wäre ich schreiend zu Ryko gerannt, zwang mich aber dazu, langsam und lautlos den Weg zurückzukriechen, den ich gekommen war. Dabei achtete ich mit allen Sinnen darauf, ob ich verfolgt wurde.
Ryko saß noch immer zu Pferd. Er schaute wütend auf mich herunter, als ich durchs Unterholz kam, doch als er mei ne Miene sah, verstummte er und zog mich hinter sich aufs Pferd. Seine Körperwärme erschien mir wie ein Talisman gegen den Tod.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich an seinem Rücken, als wir tiefer in die Gärten ritten. »Ich musste es einfach sehen.« Ich drückte die Stirn an seine Schulter. »Man hat sie einfach am Straßenrand liegen gelassen.«
»Versucht, nicht weiter darüber nachzudenken«, sagte Ry ko schroff.
Das war ein guter Rat, doch beim Reiten schienen die Bilder aus den Schatten aufzusteigen: erschlaffte Silhouetten, dunkle Lachen, starre Augen. Zwar bemerkte ich die Gangart des Pferdes, hörte Ryko atmen und spürte seine Anspannung, als er dem Weg auswich, den die Soldaten nahmen, doch mir standen lauter tote Freunde vor Augen und in meinem Kopf verkündete ein Sprechchor lautlos meine Schuld.
Erst als Ryko das Pferd plötzlich anhalten ließ, merkte ich, dass wir bei dem Pavillon angekommen waren, der nicht weit vom Tor des Guten Dienstes entfernt stand. Vor uns hingen weiße Trauerlaternen wie kleine Monde am Weg. Ein dumpf hallendes Geräusch, Schreie und Waffenklirren verrieten mir, dass die Mauer nah war. Wie hatten wir es geschafft, so weit zu kommen? Die Antwort fand sich gleich hinter dem Pavillon, wo zwei tote Späher von Sethons Armee am Boden lagen.
Dunkle Silhouetten lösten sich von dem kleinen Gebäude und eilten auf uns zu: Solly und zwei seiner Leute. Sie machten eine rasche Verbeugung.
»Sie berennen das Tor mit einem Rammbock«, flüsterte Solly. »Es wird gleich nachgeben. Das könnte eure Chance sein.«
Ryko beruhigte sein Pferd. »Was ist mit Bogenschützen?«
Solly verzog das Gesicht. »Es gibt eine ganze Abteilung, doch sie achten nur auf die Mauer, und zwar ein Stück weit entfernt.«
»Sind deine Leute bereit?«
»Du brauchst ihnen nur den Befehl zu geben«, sagte Solly Die beiden Männer hinter ihm nickten und der eine murmelte rasch: »Für den Perlenkaiser.«
Ryko gab mir sein Schwert. »Kappt die Laternen«, sagte er.
Ich versteifte mein Handgelenk und spannte den Arm an, doch die Waffe war zu schwer – ich würde sie mit beiden Händen schwingen müssen. Also legte ich die Linke auf die Rechte, hielt die Klinge vom Pferd weg und drückte dem Tier die Knie in die Flanken. Dass ich den Oberkörper dabei leicht verdrehen musste, würde mir Schwierigkeiten bereiten, aber ich würde es wohl schaffen. Ich wendete die Klinge, presste den Schwertgriff an meinen Schenkel und hielt mich mit der jetzt wieder freien Hand an Rykos Schulter fest. Eins nach dem anderen: Erst musste ich heil zu den Laternen kommen; danach konnte ich mir überlegen, wie ich mit dem Schwert ausholen würde.
»Gib deinen Männern Bescheid«, sagte Ryko. Er wandte den Kopf und ich sah die Angriffslust in seinen Augen. Was er wohl in meinen Augen las? »Und los.«
Solly stieß den durchdringenden Ruf eines Nachtraubvogels aus und Ryko trieb das Pferd mit einem Tritt in die Flanken an. Die doppelte Anstrengung, mich auf dem Tier zu halten und das Schwert zu fuhren, ließ mein Blut so laut in den Ohren rauschen, dass ich nicht einmal die dumpfen Stöße des Rammbocks hörte. Wir flogen nur so dahin und der Wind ließ meine Augen tränen.
Wir erreichten den Weg, und aus dem dumpfen Dröhnen der Hufe auf dem Rasen wurde ein lautes Trappeln, das
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