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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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»Der ist diesmal sicher abgeschlossen.«
    Er zuckte die Achseln. »Schlösser sind kein Problem. Mir machen die vielen Wächter Sorgen.«
    »Die meisten sind sicher …« – ich musste mich zwingen weiterzusprechen – »… in den anderen Drachenhallen.«
    Auf Rykos und meinem Gesicht stand dieselbe quälende Frage: Wie viele Drachenaugen mochten bereits tot sein?
    »Kommt«, sagte er. »Und haltet Euch dicht am Boden.«
    Wir querten die gefährliche Freifläche zwischen Wald und Halle und hielten auf den Schutz des Mauerschattens zu. Keuchend drückte ich mich an die unbehauene Steinwand, doch Ryko schlich gleich weiter zum Tor. Ich blieb, wo ich war. Er würde Zeit brauchen, um das Schloss zu knacken – Zeit, die ich zum Verschnaufen nutzen konnte.
    Allmählich schlug mein Herz wieder gleichmäßig. Ryko kauerte noch immer vor dem Schloss des Seiteneingangs. Ich schlich an der Mauer entlang und sah ihn mit der Hingabe eines Künstlers arbeiten. In der kurzen Pause, die ich eingelegt hatte, waren mir die vielen Hindernisse, die auf uns warteten, in den Sinn gekommen. Hatte Lord Ido das Buch in seine Bibliothek zurückgebracht? Wie sollten wir zurück in den Palast gelangen? Und würde es überhaupt möglich sein, Lady Dela zu erreichen?
    Ich blieb neben Ryko stehen. »Fast fertig«, flüsterte er.
    Der Verschluss klickte. Ryko lächelte, zog die beiden Drähte aus dem Schloss, bewegte den Türknauf und drückte das Eisentor vorsichtig auf. Ich hielt den Atem an, als er durch die schmale Öffnung trat. Dann winkte er mir, nachzukommen.
    Ich schlüpfte durch den Spalt und folgte Ryko durch den langen Gang. An seinem Ende drückten wir uns an die Mauer und beobachteten den Hof. Wie beim letzten Besuch war er beleuchtet und das gelbliche Licht der Bronzelampen warf dunkle Schatten auf die Kumquatbäumchen. Doch über den Gebäuden lag eine seltsame Stille. Selbst die Küche war dunkel. Ich reckte mich vor, bis der zweite Durchgang in Sicht kam. Dahinter befanden sich der Garten und die Bibliothek. Und darin – hoffentlich! – das Buch.
    Ryko lehnte den Kopf gegen die Mauer. »Entweder der gesamte Haushalt ist geflohen oder sie haben sich an einen sichereren Ort begeben. Möglicherweise ist der Lord gar nicht erst hierher zurückgekehrt.«
    Ich sah ihn entgeistert an. »Dann trägt er das Buch noch bei sich.«
    Ryko nickte. Ich bemühte mich, trotz der Verzweiflung, die mich zu überwältigen drohte, ruhig weiterzuatmen. Wie sollte ich Ido das Buch wegnehmen, ohne auf die Macht des Rattendrachen zurückzugreifen?
    »Wir müssen in der Bibliothek nachsehen«, sagte ich. »Nur für den Fall der Fälle.«
    Er sah mich an und war von meinem Vorschlag offenkundig nicht überzeugt. »Jede Minute, die wir verschwenden, kostet Menschenleben.«
    »Wir müssen dort nachsehen«, beharrte ich.
    Ryko musterte erneut den Hof. »Also los.«
    Geduckt folgte ich Ryko erst zu den Kumquatbäumchen, dann zum Torbogen. Nirgendwo bewegte sich etwas und es war ganz still. Am Ende des Durchgangs blieben wir stehen und spähten in den Garten vor uns. Anders als beim Fest des Zwölften Tages hingen heute keine Lampions in den Bäumen. Vom schwachen Mondlicht abgesehen, das den gepflasterten Weg und den Teich silbern schimmern ließ, lag der Garten ganz dunkel da. Es roch stark nach Jasmin und hinter Brücke und Pavillon konnte ich den unförmigen Schatten der Bibliothek erkennen.
    »Völlig verlassen ist das Gelände nicht«, sagte Ryko leise.
    Ich kniff die Augen zusammen und entdeckte in der Nähe des Pavillons die Silhouetten zweier Wächter.
    Ryko hielt die Hand auf. »Gebt mir das Messer.«
    Ich zog es aus der Schärpe und reichte es ihm.
    »Wisst Ihr noch, wie Solly sich bemerkbar machte?«, fragte er und zog das zweite Messer aus dem Ärmel. Ich nickte. »Wenn Ihr das Signal hört, kommt zur Bibliothek.«
    Lautlos rannte er durchs Gras und war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Ich lauschte auf sein Zeichen und wusste, dass gleich zwei Männer sterben würden. Wie viele Menschenleben würde dieser Machtkampf noch fordern! Ein Bild zuckte durch meinen Geist, Lord Tyrons Kopf, wie er von seinen Schultern fiel. Ich verdrängt die blutige Szene und versuchte, an die Aufgaben zu denken, die vor uns lagen: Wir mussten erst das Buch, dann die Macht bekommen. Und schließlich Ido aufhalten.
    Ihn aufhalten? Meinte ich damit nicht in Wirklichkeit, ihn zu töten?
    Um nicht von ihm getötet zu werden?
    Töten oder getötet werden.
    Dann hörte

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