Drachentochter
Ryko schrie erneut auf. Ich hörte ihn mit den Zähnen knirschen, um sich weitere Schreie zu verkneifen. Sein Schmerz ließ ihn heiser keuchen.
»Nehmt seine andere Hand«, befahl Ido.
»Nein!«, schrie ich. »Nein!«
Ryko sah mich mit glasigen Augen an. »Nicht«, flüsterte er.
Ich ließ Kinras Schwerter los. Das Klirren, mit dem sie auf die Steine fielen, hallte von den Wänden wider.
»Braves Mädchen«, lobte Ido.
Er wandte sich an den älteren Mann. »Nimm mein Schwert. Und wenn sie sich bewegt, schlitz ihm das Handgelenk auf.«
Der Soldat ließ Rykos Hand los, stand auf und nahm Idos Schwert. Das erneute Rucken der Klinge in seinem Fleisch ließ den Insulaner erzittern.
»Und du«, sagte Ido zu dem anderen Soldaten, »schnappst dir die Missgeburt. Sie hockt hinter der letzten Stapelreihe.«
Ich spürte alle Hoffnung schwinden. Ido hatte gewonnen.
Lady Dela war noch immer über das Buch gebeugt, fuhr mit dem Finger über die Seiten und bewegte die Lippen in lautloser Übersetzung. Sie wenigstens hatte noch nicht aufgegeben. Der Soldat erhob sich von Rykos Rücken und zog ein Messer aus der Scheide an seinem Handgelenk.
»Bring sie nicht um«, fügte Ido hinzu. »Noch nicht.«
Der Mann nickte und setzte sich in Bewegung. Ich beobachtete, wie er an mir vorbeiging und argwöhnisch um den Ballenstapel bog. Lady Dela blickte bei seinem vorsichtigen Näherkommen kurz auf. Ihr Gesicht war angstverzerrt. Dann senkte sie den Kopf und las weiter.
Und dann stürzte Ido sich so rasch auf mich, dass ich keine Zeit hatte, ihm auszuweichen. Er umschloss meinen rechten Arm mit eisernem Griff und zog mich zum Ausgang der Gas se. Ich stolperte und merkte, wie ich zu Fall kam. Halb trug, halb zerrte er mich an die Mauer und verdrehte mir dabei die Schulter, bis ich glaubte, sie würde aus dem Gelenk springen. Ächzend schob er meinen Rücken gegen die schmutzige Wand und ließ meinen Arm los. Nur der Druck seiner Hüften hielt mich aufrecht. Sein Gesicht war so nah, dass meine Sicht verschwamm; alles, was ich noch erkennen konnte, waren sein Mund und das dunkle Schimmern seiner geweiteten Pupillen. Er war sehr schwer, denn Training und Sonnenpulver hatten seine Körper in reine Muskelmasse verwandelt. Ich wollte mich seiner überwältigenden Kraft entziehen, spürte aber, wie er mir die warme Hand an die Kehle legte. Ich zerrte an seinen Fingern, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf und drückte zu. Keuchend ließ ich die Hände fallen und hielt ganz still. Er senkte den Kopf, presste seine Lippen auf meine und lockerte dabei seinen Griff, sodass ich nach Luft schnapp te und dabei den Mund öffnete. Sofort ließ er seine nach Vanille und Orange schmeckende Zunge in meinen Mund gleiten, fuhr mir gleich darauf mit den Zähnen über die Unterlippe und biss in das weiche Gewebe. Ich zuckte zurück und spürte den kupfernen Geschmack von Blut.
»Und jetzt finden wir heraus«, sagte er leise, und jedes Wort strich mir wie ein Kuss über die Wange, »jetzt finden wir heraus, was wirklich geschieht, wenn die letzten beiden Drachenaugen sich vereinigen.«
»Wir sind nicht die letzten beiden«, krächzte ich.
Er zog den Kopf ein wenig zurück. »Ihr meint Dillon?«
Ich sah ihm in die Augen, durch deren Bernstein dünne Silberfäden glitten. Sein Charisma hüllte mich ein und streichelte zärtlich über meine Haut.
»Armer Dillon«, sagte er. »Ich habe sein Hua an meines gebunden. Er hat keine eigene Verbindung zum Rattendra chen mehr.« Er strich mit dem Zeigefinger meinen Kiefer entlang. »Und das bisschen Kraft, das er besitzt, wird bald verbraucht sein.« Seine andere Hand zerrte am Kragen meiner Untergewänder. Die dünne Seide gab nach und entblößte meine Schulter und das fest gebundene Brustband.
Ein Schlurfen ließ ihn den Kopf wenden, doch ich konnte nur sein Ohr und seine Haare sehen.
Lady Dela schrie: »Sie ist der Spiegeldrache, sie –« Ihre Stimme klang plötzlich gedämpft, als hätte ihr jemand die Hand auf den Mund gepresst. Was hatte sie mir sagen wollen? Ich wusste doch schon, dass sie der Spiegeldrache war.
Ido wandte sich wieder mir zu. » Sie? Der Drache ist auch weiblich?« Er lachte so leise wie erstaunt auf. »Natürlich, ich hätte es wissen müssen – Eure Kraft haust im Weiblichen. Kein Wunder, dass im schwarzen Buch von der Verschmelzung von Sonne und Mond die Rede ist.«
Seine Hand strich über mein Brustband, glitt zu meiner Hüfte hinunter und zog am dünnen Leinen meiner
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