Drachentochter
das Buch aus der Rüstung zu ziehen. Zwar wussten wir beide, dass es zu spät war, doch ich klemm te mein Schwert unter den Arm, zerrte das Buch hervor und drückte es ihr in die Hand. Die Perlen lösten sich vom Einband und glitten über meine Haut, als wollten sie mich willkommen heißen. Ich schob sie wieder aufs Buch zurück.
»Falls es schiefgeht«, sagte ich, »flieht durchs Gitter.«
Die Schwerter flüsterten mir kampflustig zu.
Lady Delas Blick sprang zu Ryko. »Ich bleibe bis zum Ende.«
Ich drehte mich um und schätzte die Gefechtslage ein, wobei ich sie mit der Weisheit der Schwerter sah.
Ryko hatte einen Treffer abbekommen; Blut rann ihm aus einem langen Schnitt am Unterarm. Die Wunde war nicht tief, doch sie würde ihren Tribut fordern. Einer der Angreifer lag am Boden und rührte sich nicht; der zweite – ein junger Mann mit allzu raschen Bewegungen und anmaßendem Lächeln – würde gleich zu mir durchbrechen. Die beiden anderen Solda ten näherten sich. Am Eingang der Gasse stand Ido und warte te auf Rykos Tod. Ich holte tief Luft und stieß einen Schrei aus; das ausströmende Hua trieb mich in den Kampf.
Ich stemmte mich dem jungen Soldaten entgegen, als er an Ryko vorbeistürmen wollte, und wirbelte meine Schwerter in tödlichen Achten durch die Luft. Er konnte meine untere Waf fe abwehren, vertat sich aber beim Ablenken des von oben geführten Stoßes, sodass meine Klinge ihn seitlich im Gesicht traf. Er zuckte zurück, doch ich hatte ihm eine tiefe, bis zum Kieferknochen reichende Wunde an der Wange geschlagen. Ich stieß weiter vor, zielte auf seine Schulter (den Schwachpunkt seiner Rüstung) und genoss es, welches Geschick, welche Beweglichkeit mir die Schwerter verliehen. Er parierte meinen Stoß, doch sein Gegenangriff war harmlos und linkisch vor Schreck. Schon als ich mit meinem anderen Schwert ausholte, wusste ich, dass ich ihn entscheidend treffen würde. Wirklich fuhr meine Klinge ihm mit voller Wucht in den Na cken und durchschlug seine Wirbelsäule. Während er zu Boden stürzte, ließ mich das fremde Bewusstsein in mir schon das Schwert aus der Wunde ziehen, um weiterzukämpfen.
Ich sah mich nach Lady Dela um. Sie schob sich hinter den Ballenstapel, der dem Gitter am Nächsten war, und hielt das Buch dabei so, dass möglichst viel Mondlicht auf die Seiten fiel. Vor mir focht Ryko mit dem Rücken zu den Stapeln und die beiden Soldaten stießen mit den Schwertern nach ihm. Er wehrte die meisten Hiebe ab und wich verzweifelt aus, wenn ihm das mitunter misslang. Kein Wunder, dass die Angreifer bereits manche Kerbe in die Ballen hinter ihm geschlagen hatten.
»He!«, rief ich und stürzte mich auf den näheren der beiden Männer.
Er fuhr herum. Rykos Blick sprang zu mir herüber und sein Schreck verwandelte sich in Zorn. Dann war der Soldat zwischen uns. Er war älter und vorsichtiger als die anderen drei und in seinem hageren Gesicht stand kluge Berechnung.
»Du solltest dich ergeben«, sagte er. »Dann überleben dei ne Freunde vielleicht.«
Ich antwortete mit dem Dritten Affendrachen, einer Sequenz schneller Hiebe, die auf den Hals zielten. Doch dieser Mann war kein allzu selbstsicherer Grünschnabel. Er bremste mich, indem er seine Schwerter jedes Mal, wenn meine Klingen sie trafen, weit zu den Seiten schwang. Ich spürte, wie mir die Waffen immer mehr entglitten. Dann schwang er das rechte Schwert zurück, um mit dessen Heft nach meinem Kopf zu schlagen. Ich biss die Zähne zusammen, fasste die rechte Waffe fester und holte mit der Klinge nach seinem Heft aus. Ich hörte ihn fluchen, weil ich ihm fast die Finger abgetrennt und immerhin den Ledergriff getroffen hatte. Er machte einen Schritt zurück und schwang sein Schwert blitzschnell herum. Kinras Wissen war mir weiter gegenwärtig, doch ich wurde allmählich müde. Ihr Zorn würde mich nicht mehr lan ge anfeuern können.
Aus den Augenwinkeln sah ich Ido mit gezogenen Schwertern in die Gasse kommen. Auch Ryko sah ihn und schlug in einer verzweifelten Attacke nach dem Kopf des Drachenau ges, ohne auf seine Verteidigung zu achten. Doch er verfehlte Ido und krümmte sich, als das Schwert seines Gegners ihn in die rechte Seite traf.
Dann griff mich der Soldat vor mir erneut an, und ich musste mich wieder voll darauf konzentrieren, den Hagel von Schlägen abzuwehren, der mich zu entwaffnen drohte. War Ryko verletzt? Oder gar tot? Ich durfte meinen Gegner nicht aus den Augen lassen, doch das Klirren der Schwerter und das
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