Drachentochter
und der Ring aus Spiegeln warf die riesigen Perlen, die sie unterm Kinn trugen, so zurück, dass sie wie die Kette eines Gottes erschienen.
Mit zusammengekniffenen Augen wandte Lord Ido sich dem Rattendrachen zu und beugte sich vor, als schleppte er ein großes Gewicht hinter sich her. Langsam hob er die Hände und zog Energie aus dem Boden. Ich sah ganz deutlich, wie sie ihn durchströmte – genauso klar, wie ich das Leuchten seiner sieben Energiepunkte wahrnahm. Er rief den Rattendrachen, forderte seine Aufmerksamkeit. Das spürte ich wie ein langsames Vibrieren meines Körpers. Widerstrebend erhob sich der blaue Drache aus seiner Verbeugung. Lord Ido ließ die Arme sinken, fuhr herum und sah mich an. Für einen Moment schienen sich seine verwegenen Züge vor Angst zu verhärten. Doch dann verzog er die Lippen zu einem Lächeln, das seine Zähne zeigte, und ich begriff, das war keine Angst, das war Gier.
Über mir sang der Spiegeldrache leise vor sich hin, und ich spürte, dass sich etwas in mir regte wie ein Flüstern am Rande meines Bewusstseins. Es war etwas Wichtiges. Ich drückte mein Ohr an die Perle, hielt den Atem an und bemühte mich, etwas zu hören. Das Flüstern kam kurz näher, schien sich dabei aber gegen einen dunklen Widerstand stemmen zu müssen. Ich vernahm einen leisen Singsang, ohne allerdings eine Melodie oder eine Bedeutung ausmachen zu können, und dann verklang er schon wieder wie ein Seufzer. Ich spreizte die Finger auf der samtigen Oberfläche der Perle – ein stummes Flehen, es mich erneut versuchen zu lassen. Doch der Gesang blieb verschwunden.
Die Perle bewegte sich unter meinen Händen, als der Drache den Kopf hob. Er rief nach mir, und ein stechender Schrei durchfuhr mich und suchte nach meinem Kern. Ich konnte mich nirgendwo vor dem silbernen Energiestrom verbergen. Er fand den Weg ins Zentrum meiner Seele, knackte die Muschel namens Eon und fand mich.
Fand Eona.
Aus den tiefsten Abgründen meiner selbst ans Licht geholt, durchflutete mich mein wahrer Name. Ich musste der Welt meinen Namen zurufen und die Wahrheit unserer Vereinigung feiern. So wollte es der Drache.
Nein!
Sie würden mich töten. Und meinen Meister. Ich biss die Zähne zusammen. Der Name ergriff von mir Besitz, tobte durch meinen Verstand und bereitete mir immer qualvollere Kopfschmerzen. Eona. Eona. Eona.
Nein! Das wäre mein Tod. Ich löste das Gesicht mühsam von der Perle, doch meine Hände wollten sich nicht bewegen lassen, denn die pulsierende Energie hatte sie mit dem Schmuckstück geradezu verschmolzen. Ich schrie, um nur den Namen aus dem Kopf zu bekommen, und mein Schreien vereinte sich mit dem schrillen Rufen des Spiegeldrachen. Doch der Name hämmerte weiter auf mich ein – dieser Name, hinter dem das mächtige Begehren eines Drachen stand. Der Ansturm war einfach zu heftig. Jeden Moment würde ich meinen wahren Namen preisgeben.
»Ich bin Eon«, rief ich. »Eon!«
Ich drückte fester gegen die Perle, deren Energie nun auf meinen Händen und Armen schimmerte. Dann warf ich mich mit einem Ruck nach hinten. Für einen Moment spürte ich nichts als einen reißenden Schmerz. Dann waren meine Hände frei, und ich stürzte erneut, stürzte in ein Dunkel, in dem Verlorenheit und Einsamkeit gähnten.
6
Langsam kam ich zu mir; ein schwaches Licht drang durch den grauen Nebel des Schlafs.
Ich öffnete die Augen ein wenig mehr. Ein Zimmer. Doch seine Ausmaße waren ungewohnt – die Decke war zu hoch, die Wände waren zu weit weg. Leiser Bittgesang drang an mein Ohr und die Luft war parfümgeschwängert. Ich brauchte einen Moment, um den süßen Geruch einordnen zu können – er kam von Räucherstäbchen, wie sie nur in Krankenzimmern abgebrannt wurden. Ich drehte mich auf den Rücken und spürte dabei weiche Seide über meine Haut streichen.
»Lord Eon?«
Ich hob den Kopf und sah die Umrisse einer Frau, die auf einem Hocker saß. Ihr Gesicht war ein verschwommener weißer Fleck, den ein mit goldenen Kämmen hochgesteckter Haarknoten krönte. Eine Hofdame. Hinter ihr stand ein massiger Schattenmann; seine Haut war dunkel, sein Kopf kahl rasiert, und seine Hände lagen auf den Griffen zweier Schwerter, die in Scheiden steckten. Dann zog ein flackerndes Licht in der Ecke meinen Blick auf sich: An der Hand eines schwarz gewandeten Flehenden, in dem ich den Sänger erkannte, baumelte ein Gebetslampion. Neben ihm stand eine Dienerin, die im Halbdunkel aber kaum auszumachen war.
»Lord Eon?
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