Drachentochter
mir die Hände gegen die Ohren. Der Schrei hallte in meinem Kopf wider und raubte mir die Sinne. Ein Energiestrom stieß mich zur Seite. Dann war die Hitze in meinem Rücken verschwunden. Mit Mühe hob ich den Kopf, um zu sehen, wie ein Sandwirbel die Reihe entlangglitt. Der Drache verließ mich. Im Spiegel beobachtete ich, wie er vor Baret und Dillon hielt. Mit einem zweiten Schrei stürzte das Tier sich auf Dillon, umkreiste ihn so rasch, dass eine Windhose aus Staub und Sand aufstieg, und warf Baret mit seinem mächtigen Schwanz um. Die Anwärter, die neben ihnen standen, flohen in alle Richtungen. Quon ergriff den Ärmel meines Gewands und wollte mich zurückzerren, doch ich riss mich los; ich musste in der Nähe bleiben, falls der Drache erneut zu mir käme.
Dillons schlanke Gestalt war für einen Moment hinter dem aufwirbelnden Staub versteckt. Dann schoss die Sandsäule wie ein ausbrechender Vulkan nach oben und ging als stechender Regen auf mir und den anderen Anwärtern nieder. Nur Dillon blieb unberührt. Er stand mit zurückgelegtem Kopf und vor Erstaunen bleichem Gesicht da. Ich blickte in den Spiegel und sah ihn in die Augen des Drachen starren, der wie eine Mondsichel über ihm stand. Der Drache beugte sich noch näher heran, bis sein Maul nur noch eine Fingerlänge von Dillons Gesicht entfernt war. Der mächtige Kopf hob sich langsam, bis die schimmernde Perle zu sehen war, die sonst unter Kinn und Bart verborgen lag. Dillon streckte die Arme aus und legte die Hände um die Kugel. Eine blassblaue Flamme schlug daraus hervor, und die Verbindung von Tier und Junge setzte eine Flut silbernen Huas frei, das den Drachen schimmernde Stofflichkeit gewinnen ließ. Die Menge schnappte erstaunt nach Luft, wandte sich vom Spiegel ab und konzentrierte sich ganz auf die beiden leuchtenden Gestalten auf dem Sand. Die funkelnde Energie hatte die Farbe des Drachen verschwinden lassen, doch Dillons rotes Gewand hob sich wie eine Blutlache von der gelblichen Umgebung ab. Das Tier schloss die Augen und brüllte mit laut widerhallender Stimme eine Art Frage.
Dillon warf den Kopf zurück und sein weiches Gesicht be kam plötzlich schärfere Konturen. »Ja, ich verstehe dich«, rief er. »Ich bin Dillon und verstehe dich.«
Der Drache brüllte erneut und sein schriller werdendes Triumphgeheul übertönte das Toben der Menge.
Lord Ido stieß mich beiseite, als er an mir vorbeieilte. »Tritt zurück«, rief er und wies mit wütender Kopfbewegung auf die übrigen Anwärter, die sich neben dem Spiegel versammelt hatten. »Du bist im Weg.«
Er schritt über den Sand und blieb vor Drache und Junge stehen, die innig verbunden waren. Ich nahm meine Schwerter und zog mich zurück, obwohl jeder Schritt sich so anfühlte, als würde etwas in mir zerreißen. Lord Ido verbeugte sich vor dem Drachen, stellte sich breitbeinig hin und zog Dillon von der Perle weg. Silberne Energie ging knisternd von dem Jungen auf ihn über und ließ den Kopf des Drachenauges zurückschnellen. Das Heulen des Drachen verband sich mit Dillons Verlustschrei. Plötzlich war der Drache nicht mehr zu sehen, während Lord Ido den erschlafften Körper Dillons hochhob und den Zuschauern präsentierte. Ich sah wieder in den Spie gel. Der Rattendrache war verschwunden.
Lord Ido gab den kaiserlichen Herolden ein Zeichen.
»Seht den Erwählten«, riefen die Herolde. »Seht Dillon, den neuen Lehrling des Rattendrachenauges.«
Die Menge sprang auf und rief im Chor: »Dillon.«
Der Junge kam zu sich und wandte den begeisterten Zuschauern den Kopf zu. Seine Freude gab ihm die Kraft, auf eigenen Beinen zu stehen. Lord Ido setzte ihn ab, nahm seine Hand und lief mit ihm einmal um den Kampfplatz, um den Sieg zu feiern.
In diesem Moment durchfuhr mich Hass wie ein plötzliches Fieber und verbrannte auf seinem Weg alles Weiche und Nachgiebige. Sein Lodern ließ selbst die Schwerter in meinen Händen zittern. Und ebenso unvermittelt ging der Hass in das Gefühl einer riesigen, quälenden Leere über. Ich sah zu Quon und Lanell hinüber und erkannte in ihren Gesichtern die glei che finstere Trostlosigkeit.
Wir hatten versagt.
Ich hatte versagt.
Quons Schluchzen ging im Jubel der Menge unter.
Eine Hand ergriff mich an der Schulter.
»Eon, kommt hier entlang«, sagte eine Stimme an meinem Ohr. Es war Van und sein schmales Gesicht war mitleidsanft.
Die übrigen Anwärter wurden von Beamten am Rand der Arena hinausgeleitet. Ich sah mich nach Dillon um. Warum war er
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