Drachentochter
schmale Hüften und flache Brüste. Wie alt bist du wirklich?«
»Sechzehn.« Ich schlang mir die Arme um den Leib, um nicht nach ihren wunden Händen zu greifen. »Rilla, was soll ich jetzt tun?« Ich spürte Panik in mir aufsteigen.
»Du wirst jetzt von deiner Kammerdienerin gebadet und eingekleidet, und dann wirst du vor die Tür treten und Lord Eon sein, das neue Spiegeldrachenauge.«
»Wie kann ich ein Lord sein? Es ist mir schon schwer genug gefallen, Anwärter zu sein. Das schaffe ich nicht.«
»Doch, das schaffst du«, sagte Rilla und griff mich bei den Schultern. »Denn wenn du es nicht schaffst, werden wir sterben – du, ich, der Meister. Sie werden uns nicht am Leben lassen, wenn sie herausfinden, was du wirklich bist.«
Was du wirklich bist – ihre Worte beschworen auf einen Schlag eine ganze Reihe von Erinnerungen herauf. Ich entzog mich ihrem Griff. »Rilla, als du mich ausgezogen hast … hast du da einen Beutel gefunden?«
»Beruhige dich. Ich hab ihn.« Sie klopfte auf ihre Kitteltasche. »Und das Geschenk von Chart hab ich auch.«
»Wie lange war ich bewusstlos?«
»Zwei Tage.« Sie nickte verständnisvoll. »Keine Sorge, der Meister hat mir von dem Tee erzählt. Du hast täglich deine Dosis bekommen – ich hab dir eine recht ordentliche Menge eingeflößt, obwohl du dabei nicht ganz wach warst.«
Ich seufzte erleichtert auf. »Danke.«
»Ich kümmere mich jetzt um die heutige Portion.« Sie ging zur Kommode und stocherte im Kohlebecken. Neben ihr in der Ecke stand ein Ständer mit meinen Zeremonienschwertern. Ich streckte und beugte die Finger und erinnerte mich des seltsamen, zornigen Wissens, das von ihnen auf mich eingewirkt hatte.
Dann wandte ich den Schwertern den Rücken zu und schwang die Beine aus dem Bett. »Wo ist Chart?«
»Im Haus des Meisters.«
»Aber wer kümmert sich um ihn?« Der Teppich war so dick, dass meine Füße darin versanken. Ich wackelte mit den Zehen und schob sie durchs weiche Vlies, das doppelt so dick war wie bei den Teppichen meines Meisters.
»Irsa«, antwortete Rilla ungerührt.
»Irsa? Kann Chart denn nicht in den Palast kommen?«
»Das wird der Kaiser nicht erlauben. Eine Missbildung ist ein schlechtes Omen, das wird er hier sicher nicht dulden.«
Ich hörte auf, mit den Füßen Abdrücke im Teppich zu machen. »Aber ich bin doch auch hier.«
Rilla stellte einen Topf Wasser aufs Kohlebecken. »Ja, aber Reichtum und Ansehen nehmen diesen Dingen das Anrüchige.«
Reichtum und Ansehen. Ich starrte auf die herrlichen Farben des Teppichs. Jetzt war ich reich und angesehen. Etwas durchflutete mich – die Anfänge einer leidenschaftlichen Kraft, die nichts mit dem Spiegeldrachen zu tun hatte. Ich war Lord Eon. Kein Lehrling, sondern ein Drachenauge. Ich trank aus goldenen Bechern und schlief in silbernen Laken. Die Menschen dienten mir und verneigten sich vor mir und nie mehr würde jemand höhnisch über mein Hinken lachen oder das Zeichen zur Abwehr des Bösen machen.
»Ich könnte ihn hierher befehlen«, sagte ich.
Rilla drehte sich lächelnd zu mir um. »Das ist ein großmütiger Gedanke, Lord Eon.«
Ich spürte, wie mir die Hitze wieder ins Gesicht stieg. Der Gedanke war mir nicht aus Großmut gekommen.
»Doch ich furchte, sogar das neue Spiegeldrachenauge könnte sich über die Angst des Kaisers nicht hinwegsetzen.« Sie sah in das allmählich heiß werdende Wasser. »Es wird schon gehen – der Meister wird dafür sorgen, dass Chart kein ernsthaftes Leid widerfährt.«
Das stimmte wohl, doch es war der Gedanke an all das kleine, alltägliche Leid, der einen üblen Nachgeschmack in meinem Mund hinterließ.
Es klopfte an der Tür und ich fuhr herum.
»Lord Eon«, rief jemand von draußen. »Der Leibarzt des Kaisers begehrt Einlass.«
»Leg dich wieder ins Bett«, flüsterte Rilla. »Und lass ihn nicht an dir rumtasten.« Sie nahm den Topf vom Kohlebecken und eilte zur Tür. »Einen Moment noch, bitte.«
Ich kletterte ins Bett und schlüpfte unter das Tuch. Rilla nickte mir zu, öffnete die massive Tür und verbeugte sich, als ein kleiner Mann ins Zimmer stolzierte. Seine Robe war sehr viel eindrucksvoller als er selbst. Er trug fünf kurze Gewänder aus feinster Seide übereinander, die in verschiedenen Purpurtönen – von Violett zu Lila – gefärbt waren und an Hals und Oberschenkeln mehrschichtige Ränder bildeten. Darunter hatte er eine breitbeinige Hose an, deren Braunrot mit goldenen Stickereien verziert war. Eine
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