Drachentochter
rieb sich den rasierten Hinterkopf. »Wir brauchen mehr Informationen. Seid Ihr überhaupt sicher, dass Lord Ido das Portfolio besitzt? Und dass er es in der Bibliothek aufbewahrt?«
»Nein. Wie gesagt – es steht nicht auf der Liste.«
»Na, solltet Ihr es Euch wirklich zurückholen, kann Lord Ido wenigstens nichts dagegen sagen«, bemerkte Lady Dela spitz. »Schließlich hat er es selbst gestohlen.«
Ryko schüttelte den Kopf. »Das ist zu riskant. Wir sollten einige Tage warten und uns kundig machen.«
»Nein!« Ich drehte die Handflächen gegeneinander. »Es muss heute Nacht geschehen. Lord Ido ist aus der Stadt geritten, um Großlord Sethon zu treffen. Er wird bis morgen früh nicht in der Halle sein. Wenn du nicht gehst, gehe ich allein – das schwöre ich.«
»Ich habe bereits gehört, dass Sethon zurückkehrt«, sagte Lady Dela. »Eine gefährliche Zeit. Neben dem siegreichen Oberbefehlshaber wird unser Kaiser alt und krank wirken.«
Ryko seufzte. »Falls Ido außer Haus ist, dürfte jetzt wirklich die beste Gelegenheit sein«, räumte er ein. »Wahrscheinlich hat er die meisten Wachen auf die Reise mitgenommen und nur wenige in der Halle zurückgelassen.« Er hielt inne. »Gut, tun wir’s. Ich hole Euch rechtzeitig ab, damit wir um Mitternacht an der Rattendrachenhalle sind. Achtet auf mein Klopfen an Eurem Fenster.«
»Danke«, sagte ich.
»Ihr müsst dunkle Sachen anziehen. Könnt Ihr reiten?«
»Nein.« Ich hatte nie ein Pferd berührt, geschweige denn darauf gesessen.
»Tja, wir können schlecht eine Sänfte ordern, um uns zu einem Diebstahl und wieder von dort weg zu bringen. Und es ist zu weit entfernt, als dass Ihr mit Eurem Bein –« Er verstummte, da ihm seine Taktlosigkeit plötzlich bewusst wurde. »Ich werde Euch auf dem Rücken tragen«, erklärte er unvermittelt.
»Na, sollte deine Arbeit als Spion zu nichts fuhren«, sagte Lady Dela kühl, »kannst du dich immer noch als Esel verdingen.«
»Ich glaube, als Ochse hätte ich mehr Glück, Mylady«, erwiderte Ryko und verbeugte sich tief.
Sie lächelte nicht. »Seid vorsichtig«, sagte sie zu mir. Ihr Blick zuckte zu Ryko, doch der hatte sich bereits zur Tür gewandt.
»Alle beide«, hörte ich sie flüstern.
Als ich mich den Päoniengemächern näherte, öffnete Rilla die Tür. Schon vom Weg aus sah ich ihre besorgte Miene. Ich hätte früher zurückkehren sollen.
»Wie geht es dem Meister?«, fragte ich beim Eintreten.
Sie schloss die Tür. »Er weigert sich, den verordneten Schlaftrunk zu nehmen, ehe er mit dir gesprochen hat. Der Leibarzt des Kaisers ist wieder bei ihm.«
»Meinst du, sein Zustand hat sich verschlechtert?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie ihre Zweifel verjagen. »Ich denke, er braucht einfach Ruhe. Er hat alle Verabredungen für den Abend abgesagt. Er möchte morgen gesund genug sein, um dich zu begleiten.«
»Morgen?«
»Hast du nicht davon gehört? Großlord Sethon wird im Triumphzug in die Stadt einreiten und der Kaiser hat den morgigen Tag zum Feiertag erklärt. Noch ein Fest, das du überstehen musst.« Sie lächelte mitleidig. »Komm, der Meister erwartet dich.«
Im Schlafzimmer brannte nur eine Lampe, deren Licht ein bronzener Schirm dämpfte. An der Wand über dem Kopf des Bettes glommen in einem goldenen, wie zwei springende Karpfen geformten Halter die gleichen süßlichen Räucherstäbchen, wie sie wenige Tage zuvor für mich angezündet worden waren. Mein Meister lehnte mit verschatteter Miene in den Kissen. Neben ihm saß der Leibarzt des Kaisers auf einem kleinen Hocker und betrachtete die Fingernägel seines Patienten. Er hatte für den Abend einen üppigen blutroten Umhang angelegt, unter dem er ein alt-rosa Seidengewand trug, das zu seiner kastanienbraunen Arztmütze passte. Er sah auf, als Rilla mich ankündigte.
»Lord Eon, kommt doch herein«, sagte er, ließ die Hand meines Meisters los und verbeugte sich tief. »Lord Brannon schläft nicht. Er ruht sich nur aus.«
Mein Meister bewegte sich und öffnete die Augen, in deren feuchtem Glanz sich das Licht spiegelte. »Ich bin froh, dass du da bist.« Er war noch immer heiser und warf dem Arzt einen kurzen Blick zu. »Ihr könnt jetzt gehen.«
Das Gesicht des Arztes schien sich bei diesen Worten zu verfinstern, doch vielleicht täuschte mich nur ein Flackern der Lampe. Er verbeugte sich erneut, und wir sahen zu, wie er das Zimmer verließ.
»Mach die Tür zu und komm her«, sagte mein Meister
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