Drachentochter
stärkere Fieber sie zu ihren Vorfahren gehen ließ. Keine schlechte Quote für jemanden, der in einem Dorf hungerte und sich danach sehnte, den Rest seines Lebens im Palast zu arbeiten. Doch ich hielt es mit Lady Dela; in meinen Augen war sie immer noch zu schlecht.
Ich zog die Armreife ab und legte einen nach dem anderen vorsichtig auf den Tisch zurück.
»Das alles tut mir leid«, sagte ich und wies auf die Schmuckstücke. »Ich bin nicht gekommen, um in Euren Sachen zu stöbern, sondern möchte Euch um einen Gefallen bitten.«
Sie richtete sich auf. »Nämlich?«
»Kennt Ihr jemanden, der ein Schloss knacken kann?«
Sie blinzelte nicht einmal. »Natürlich.«
»Du bist ein Dieb gewesen?«, fragte ich und versuchte zu verdauen, was Ryko mir gerade gesagt hatte. Er nickte und ging im Teezimmer auf der Rückseite von Lady Delas Haus auf und ab. Sein massiger Bauch ließ den kleinen Raum noch beengter wirken.
»Und ich habe nicht nur gestohlen.« Er warf Lady Dela, die sich mir gegenüber hingekniet hatte, einen angespannten Blick zu. »Ich habe alles getan, wenn das Geld gestimmt hat.« Er blickte ins Unbestimmte. »Alles.«
Das letzte Wort sank seltsam tonlos zwischen uns nieder. Lady Dela kniete sich anders hin und biss sich auf die Unterlippe. Offenbar hatte sie das nicht gewusst.
»Wie bist du dann von den Inseln in den Palast gekommen?«, fragte ich. Eine plötzliche Vermutung ließ mich nach Luft schnappen. »Du gehörst also auch zu den Trang, die bei Sethons Strafexpedition verschnitten wurden!«
»Nein!«, entgegnete er schroff.
»Lord Eon!«, mahnte Lady Dela im gleichen Moment. »Das geht Euch nichts an.«
Ryko hob die Hand. »Schon gut.« Er atmete vernehmlich aus. »Nein, diese Schande blieb mir erspart. Ich wurde ein Jahr zuvor in den Palast beordert.«
Lady Dela neigte den Kopf zur Seite und runzelte die geschminkte Stirn.
»Beordert?«, fragte sie, und ihr freundlicher Ton bekam plötzlich etwas Gereiztes. »Wie meinst du das?«
Ryko ging zur Tür, öffnete sie ein wenig und blickte durch den Spalt. »Sind wir wirklich allein, Mylady?«
Sie nickte. »Ich habe meine Zofe auf einen Botengang geschickt.«
Er schloss die Tür und wandte sich uns zu. Seine schmalen Insulaneraugen blinzelten kein einziges Mal.
»Bis vor ein paar Jahren bestand mein Leben daraus, zu stehlen, mich mit anderen zu prügeln und zu trinken. Dann habe ich eines Nachts in einer Hafengasse meine Meister gefunden.« In Erinnerungen versunken, blickte Ryko durch uns hindurch. »Sie waren zu zweit. Der eine stieß mir ein Messer in die Schulter, der andere in den Bauch. Ich habe das Grau meiner Eingeweide gesehen.« Er legte die Hand auf den Unterleib, fasste mich wieder in den Blick und lächelte gezwungen. »Es ist nie gut, seine Innereien zu sehen. Ich dachte, das sei das Ende.«
Aus den Augenwinkeln sah ich Lady Dela den Stoff über ihrer Wunde glatt streichen. Auch sie musste gedacht haben, es sei vorbei, als das Messer ihr über dem Herzen mehrfach in den Leib gefahren war.
»Doch es war nicht das Ende«, sagte ich. Zu beiden.
Ryko schüttelte den Kopf. »An jenem Abend hatte ich Glück. Ein Fischer nahm mich mit nach Hause und pflegte mich gesund. Er hat mir das Leben gerettet.« Er hielt mit ernstem Gesicht inne. »So etwas schafft eine Bindung. Und eine Schuld. Als ich daher merkte, dass mein Fischerfreund auch Anführer einer Gruppe war, die sich Sethons Herrschaft über die Inseln widersetzte, schloss ich mich seiner Sache an. Und als er einen Vertrauensmann im Palast brauchte, sah ich die Gelegenheit, meine Schuld zu begleichen.«
»Dann gehörst du zum Widerstand der Insulaner?«, fragte Lady Dela, und ihre Augen wurden schmal. Sie blickte zu Boden und strich ihr Gewand glatt. »Du hast dich gut verstellt.« Ihre Stimme klang kühl.
Ryko hatte sich sehr gut verstellt. Ich dachte an Meister Tozay und den Trang-Jungen vom Hafen. Auch sie gehörten zweifellos dazu. Wie groß mochte diese Widerstandsbewegung sein?
Ryko fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Verzeiht, Mylady. Ich hätte es Euch verraten, wenn ich gedurft hätte. Doch ich habe den Auftrag, Informationen über Sethon zu sammeln und mich in die Nähe des Kaisers vorzuarbeiten, um ihn zu beschützen, nicht neue Anhänger anzuwerben.«
Ich musste das Offenkundige aussprechen. »Aber du bewachst Lady Dela. Und bei allem Respekt, Mylady …« – ich verneigte mich vor ihr und wandte mich wieder Ryko zu – »… ist das nicht gerade
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