Drachentochter
fragte ich, als Ryko mich von der Hauptstraße auf den Reitweg des Kaisers führte. Was sollte ein Mondschatten mit Blütenfrauen anfangen?
»Natürlich«, erwiderte er amüsiert. »Sie wissen, dass man eine Katze auf mancherlei Weise häuten kann.«
Ich fühlte, wie ich rot wurde, und war froh um den Schutz der Nacht.
Plötzlich zog Ryko mich hinter ein Gebüsch. Ein Kotsammler war um die Ecke gebogen und kam mit seiner Schubkarre auf uns zu. Wir duckten uns, und ich beobachtete durchs Laub hindurch, wie er vor uns hielt und einen Haufen Pferdeäpfel mit solchem Schwung in die Karre schaufelte, dass eine Wolke von Gestank in die Nachtluft stieg. Ich hielt mir die Nase zu und Tränen traten mir in die Augen. Endlich setzte er seinen Weg fort. Ich wollte mich schon erheben, doch Ryko zog mich wieder nach unten und hielt meinen Arm fest, bis wir das höhnische Gelächter der Wächter hörten, als der Kotsammler seine Karre durchs Tor schob.
»Wir müssen uns durch die Gärten schlagen und die Pfade meiden, Mylord«, sagte Ryko leise. »Das wird rascher gehen, wenn ich Euch trage.«
Gleich darauf hatte er mich auf dem Rücken, und wir eilten durch die herrlichen Gärten, die die Drachenhallen vom Palastbezirk trennten. Der Kaiser nannte sie seinen Smaragdgrünen Ring und erlaubte nur denen, die sich seiner besonderen Gunst erfreuten, darin zu spazieren und die kühlen Haine zu genießen. Zu dieser Nachtstunde waren sie verlassen, und nur die Hauptwege waren mit großen roten Laternen beleuchtet, die an Seilen zwischen hohen Stangen hingen. Ich drückte mich enger an Rykos kräftige Schultern, während wir an vergoldeten Pavillons, Lichtungen und Teichen vorbeieilten, die von eleganten Brücken überspannt wurden. Einerseits war ich berauscht von der Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegten, andererseits raubte mir die Angst vor dem, was vor uns lag, den Atem. Als wir einen geisterhaft anmutenden Buchenhain umgingen, schnellte von der Seite ein Schatten heran. Ich zuckte zusammen, was Ryko hastig niederkauern ließ. Der tintenschwarze Umriss eines Fuchses glitt in den Schutz eines Gebüschs.
Ryko atmete vernehmlich aus und brummte »Hara«, wie die Inselbewohner den Botengott in Fuchsgestalt nannten. Er richtete sich wieder auf und rückte mich zurecht.
»Ist das ein schlechtes Omen?«, flüsterte ich beunruhigt.
Ich spürte sein Achselzucken in meinen Armen. »Hara kündigt eine Botschaft an, ohne zu sagen, ob sie gut oder schlecht ist.«
Hoffentlich sagte Hara die Rückeroberung der Schrift voraus. Ryko packte mich fester und wir eilten weiter. Ich empfand es als seltsam tröstlich, so eng an den Leib eines anderen gedrückt zu sein. Vielleicht lag es an der vagen Erinnerung, von meinem Vater einst so herumgetragen worden zu sein. Von dem Gefühl der Einheit ermutigt, beugte ich mich zu Rykos Ohr vor.
»Danke, dass du mir hilfst. Du bist ein guter Freund.«
Er wandte den Kopf ein wenig nach hinten und seine Wange strich über meine.
»Es ist mir eine Ehre«, sagte er herzlich. Dann wurde seine Stimme dunkler und drängender. »Außerdem müssen wir den Kaiser und seine Familie beschützen.«
Endlich sprach ich aus, was mich schon die ganze Zeit gewundert hatte: »Warum unterstützt du den Kaiser, Ryko? Er hat die Männer der Trang – die Männer deines Volkes – kastrieren lassen und versklavt.«
Ryko seufzte. »Er hat die Kastration nicht befohlen. Der Aufstand brach gleichzeitig mit dem Tod Ihrer Hoheit los. Damals legte der Himmlische Meister alle militärischen Entscheidungen in Sethons Hände. Der hat sie angeordnet.« Ich spürte, dass er langsamer wurde. »Ruhe jetzt, wir kommen an die Straße.«
Er blieb im Schutz eines kleinen Wäldchens stehen und betrachtete den sanft abfallenden Hang vor uns. Wir befanden uns am äußersten Ende des zur Büffeldrachenhalle gehörenden Friedhofs. Die sorgfältig angeordneten Gräber drängten sich unterhalb eines glücksverheißenden Hügels und ihre geschwungenen Marmoraltäre erinnerten an eine schiefe Zahnreihe. Dahinter lag ein Abschnitt des Drachenrings, der breiten Prachtstraße, die zwischen den Gärten und den kreisförmig angeordneten Drachenhallen verlief. Sie war hohen Würdenträgern vorbehalten und zu dieser späten Stunde vollkommen leer. Nur eine einsame Gestalt in der adretten Tracht eines Dieners war auf dem staubigen Pfad neben dem Pflaster unterwegs.
»Von dort aus können wir uns am besten einschleichen«, sagte Ryko leise und zeigte
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