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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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dann.
    Er schwieg, bis ich mich auf den Hocker neben dem Bett gesetzt hatte.
    »Du hast gehört, dass Sethon zurückkehren wird?«, fragte er leise. Der Bluterguss an seiner Kehle war dunkler geworden und zeigte nun deutlich, wo Lord Ido zugepackt hatte.
    »Rilla hat es mir gesagt«, antwortete ich, doch bei diesen Worten stand mir Dillons verängstigtes Gesicht vor Augen. Würde er sein Versprechen halten und mich um Mitternacht am Seitentor der Halle erwarten?
    »Ido hat die Stadt verlassen«, sagte mein Meister. »Gewiss ist er abgereist, um sich mit seinem Herrn zu treffen und ihm von seinem Scheitern im Drachenrat zu berichten. Wir haben die beiden in die Defensive gedrängt.«
    »Was wird nun geschehen?«, fragte ich. Er weihte mich in seine Pläne ein; offensichtlich hatte er verstanden, dass wir uns aufeinander verlassen mussten. Diese Erkenntnis ließ mich aufrechter sitzen und klarer denken als zuvor.
    »Sie werden versuchen, ihren Einfluss im Drachenrat zu festigen«, sagte er. »Doch ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit der Drachenaugen weiterhin hinter mir stehen wird.« Er richtete sich mühsam auf und ich konnte unter seiner Müdigkeit plötzlich die Entschlossenheit sehen wie Knochen unter dünner Haut. »Morgen wird Sethons Sieg im Osten mit einem Fest gefeiert. Wir müssen seiner Vorführung militärischer Stärke eine eigene Vorführung entgegensetzen. Wir werden gemeinsam im roten Gewand des Spiegeldrachenauges auftreten. Das wird ein Symbol unserer vereinten Kräfte sein – deiner Macht als Herrschendes Drachenauge und meiner Erfahrung.«
    »Wird es Euch dafür gut genug gehen? Was sagt der Arzt?«
    »Keine Sorge«, erwiderte mein Meister lächelnd. »Ich bin nur erschöpft. Seit deiner Wahl habe ich nur vier Stunden geschlafen. Der Arzt hat mir einen Schlummertrunk dagelassen. Wenn ich diese Nacht durchgeschlafen habe, geht es mir wieder gut.«
    Er tätschelte mir die Hand, und wir sahen uns in die Augen. Für einen Moment stand etwas Belastendes zwischen uns. Dann wich ich seinem schwimmenden Blick aus.
    »Und du?«, fragte er und räusperte sich unter Schmerzen. »Wie war die erste Lektion in den Staminata?«
    »Es lief gut.«
    Obwohl er es abstritt, sah er mehr als müde aus. Ich wollte ihm meine Sorgen über Tellons scharfe Augen nicht auch noch aufbürden. Und von der Schrift konnte ich auch nichts sagen. Noch nicht. Nicht ehe ich das Problem gelöst hatte, meinen Drachen zu rufen. Und vielleicht nicht mal dann – denn zu diesem Zeitpunkt wäre die Gefahr ja vorüber, und er müsste es nie erfahren. Es gab so viele Geheimnisse zu bewahren. Und jedes lag mir wie Blei auf der Seele.
    »Gut«, sagte er. »Keiner kann dir besser als Tellon helfen, deine Kraft zu beherrschen.«
    Ich beugte mich vor, und es drängte mich, ihm von dem Portfolio zu erzählen. Wie herrlich wäre es, die Last zu teilen. »Meister –«
    Er machte eine gereizte Handbewegung. »Eon, ich bin nicht dein Meister. Nicht mehr. Merk dir das endlich.« Er lächelte grimmig. »Du bist auf dich allein gestellt.«
    Ich lehnte mich zurück. Richtig: Ich war kein Bauernmädchen und auch kein Anwärter mehr. Ich war Lord Eon. In dieser neuen Welt des Adels und der Reichtümer musste ich als Mann bestehen. Mein Wort war denen unter mir Befehl. Und ein Mann mit solcher Macht lud seine Probleme keinem anderen auf – auch dann nicht, wenn diese Probleme an ihm fraßen wie Maden an verrottendem Fleisch.
    »Ihr solltet Euch ausruhen«, sagte ich. »Ich werde Euch Rilla schicken.«
    Ich stand auf und verabschiedete mich von Lord Brannon mit dem kleinen förmlichen Nicken, wie es unter Ebenbürtigen üblich war.

 
12
     
    Das Warten auf Ryko hatte meine Muskeln verkrampfen lassen, und ich lief im Zimmer auf und ab, um sie zu lockern. Zweimal glaubte ich sein Klopfen am Fensterladen zu hören, doch stets lag der Garten dunkel und reglos in der warmen Nacht.
    Ich rieb die feuchten Hände an meinem alten Arbeitsgewand ab, das ich heimlich aus dem ramponierten Korb im Ankleidezimmer geholt hatte, und setzte mich aufs Bett. Obwohl ich bis zum Zerreißen gespannt war, spürte ich nach den unaufhörlichen Anstrengungen des Tages eine tiefe Müdigkeit auf mich lauern.
    Ich erhob mich wieder und trat vor den herrlichen Altar, den Rilla für meine Vorfahren errichtet hatte. Sie hatte Lady Dela offenbar beim Wort genommen und die Bestände des Kaisers geplündert. Die Totentafeln waren auf vergoldete Ständer drapiert, für die der kleine,

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