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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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hob einen Arm und umklammerte mit ihrer Hand, die dünn war wie eine Kralle und auch so bedrohlich aussah, das Bettgeländer. »Tanya, würden Sie uns bitte alleine lassen.«
    Als die Schwester sanft Einspruch erheben wollte, wiederholte die Patientin die Bitte in schärferem Tonfall, fast wie einen Befehl.
    Sobald die Schwester fort war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte Jennifer Drackman. »Wie viele sind Sie?«
    »Fünf«, sagte Connie, wobei sie den Hund nicht mitzählte.
    »Sie sind nicht alle Polizeibeamte, und Sie sind auch nicht bloß in einer polizeilichen Angelegenheit hier«, sagte Jennifer Drackman mit einem Scharfsinn, der ihr vielleicht als Ausgleich für die langen Jahre der Blindheit gegeben worden war.
    Etwas im Ton ihrer Stimme, eine merkwürdige, mit Freude vermischte Hoffnung, veranlasste Harry, ihr wahrheitsgemäß zu antworten. »Nein, wir sind nicht alle Cops, und wir sind auch nicht nur als Cops hier.«
    »Was hat er Ihnen getan?« fragte die Frau.
    Er hatte so viel getan, dass niemand wusste, wie man es kurz und bündig in Worte fassen sollte.
    Die Frau interpretierte das Schweigen richtig und sagte: »Wissen Sie, was er ist?« Das war eine außergewöhnliche Frage und bewies, dass der Mutter zumindest in einem gewissen Grad das Anderssein ihres Sohnes bewusst war.
    »Ja«, sagte Harry. »Das wissen wir.«
    »Alle denken, er sei so ein netter Junge«, sagte die Mutter mit bebender Stimme. »Sie hören nicht zu. Die törichten Narren. Sie hören nicht zu. In all diesen Jahren… sie wollen es nicht glauben.«
    »Wir werden zuhören«, sagte Harry. »Und wir glauben es bereits.«
    Eine gewisse Hoffnung blitzte in dem zerstörten Gesicht auf, doch Hoffnung war ein so ungewohnter Ausdruck in diesen Zügen, dass er gleich wieder verschwand. Sie hob den Kopf von den Kissen, eine simple Bewegung, bei der bereits die Sehnen unter dem schlaff herunterhängenden Fleisch ihres Halses von der Anstrengung hervortraten. »Hassen Sie ihn?«
    Nach einem kurzen Schweigen sagte Connie: »Ja, ich hasse ihn.«
    »Ja«, sagte Janet Marco.
    »Ich hasse ihn fast so, wie ich mich selbst hasse«, sagte die Kranke. Ihre Stimme war jetzt bitter wie Galle. Einen Augenblick lang war die Spur einstiger Schönheit nicht mehr auf ihrem verwelkten Gesicht zu sehen. Sie war nur noch hässlich, eine groteske alte Hexe. »Werden Sie ihn töten?«
    Harry wusste nicht recht, was er sagen sollte.
    Bryan Drackmans Mutter war weit weniger um Worte verlegen: »Ich würde ihn selbst töten, ihn umbringen… aber ich bin so schwach… so schwach. Werden Sie ihn töten?«
    »Ja«, sagte Harry.
    »Es wird nicht leicht sein«, warnte sie.
    »Nein, es wird nicht leicht sein«, stimmte er zu. Er sah erneut auf seine Uhr. »Und wir haben nicht viel Zeit.«
     

Kapitel 4
     

    Bryan Drackman schlief.
    Es war ein tiefer, befriedigender Schlaf, der neue Kräfte spendete.
    Er träumte von Macht. Er sog alle Energie in sich auf. Obwohl es im Traum Tag war, war der Himmel fast nachtschwarz, aufgewühlt von den schwarzen Wolken des Jüngsten Gerichts. Aus diesem Sturm, der alle Stürme beenden würde, flössen große, wogende Flüsse elektrischen Stroms in ihn, und aus seinen Händen schössen, wenn er es wollte, lanzen- und kugelförmige Blitze. Er war im Werden. Wenn dieser Prozess eines Tages abgeschlossen war, würde er der Sturm sein, ein großer Zerstörer und Reiniger, der alles hinwegspülte, was einst gewesen war, der die Welt in Blut badete, und in den Augen derer, denen er erlaubte zu überleben, würde er Achtung, Verehrung und Liebe sehen, Liebe.
     

Kapitel 5
     

    Durch die augenlose Nacht kamen suchend blinde Hände aus Nebel. Weiße dunstige Finger drückten forschend gegen die Fenster von Jennifer Drackmans Zimmer.
    Das Lampenlicht schimmerte in den kalten Schweißperlen auf der Wasserkaraffe und ließ den rostfreien Stahl glänzen.
    Connie stand mit Harry neben dem Bett. Janet saß auf dem Stuhl der Krankenschwester und hatte ihren schlafenden Jungen auf dem Schoss, der Hund lag zu ihren Füßen, mit dem Kopf auf den Pfoten. Sammy stand in der Ecke, ins Dunkel gehüllt, schweigsam und ernst, weil er vielleicht Elemente seiner eigenen Geschichte in der Geschichte erkannte, der sie gerade zuhörten.
    Die verwelkte Frau auf dem Bett schien, während sie sprach, immer mehr zu schrumpfen, als ob sie ihre eigene Substanz verzehren müsste, um die nötige Energie zu bekommen, ihre dunklen Erinnerungen anderen

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