Drachentränen
Zugang zu den unterirdischen Silos von Atomraketen zu sichern. Auf ihre Aufforderung hin schob er seinen Dienstausweis durch. Obwohl das Foto darauf so wenig schmeichelhaft war, dass es ihm selbst in seinem derzeitigen lädierten und verdreckten Zustand noch ähnelte, war sie immer noch nicht überzeugt, dass er ein Mann des Gesetzes war.
Die Nachtaufsicht zog ihre niedliche Nase kraus und sagte: »Was haben Sie sonst noch?«
Er war stark versucht, seinen Revolver zu ziehen, ihn durch den Spalt zu schieben, den Hahn zu spannen und zu drohen, ihr die Zähne hinten aus dem Kopf zu blasen. Doch sie war Mitte bis Ende Dreißig, und es war möglich, dass sie unter dem Marcos-Regime aufgewachsen und schon entsprechend abgehärtet gewesen war, bevor sie in die USA auswanderte. Deshalb würde sie ihm vielleicht nur ins Gesicht lachen, einen Finger in den Lauf stecken und sagen, er solle sich zum Teufel scheren.
Statt dessen holte er Connie Gulliver, die ausnahmsweise als Polizistin vorzeigbarer war als er. Sie grinste die winzige Gestapo-Florence-Nightingale durch das Glas in der Tür an, sagte ein paar nette Worte und schob auf Anfrage ihre eigenen Papiere durch die Öffnung. Man hätte meinen können, dass sie in den Haupttresor von Fort Knox einzudringen versuchten und nicht in ein teures privates Pflegeheim.
Er sah auf die Uhr. Es war 2:03 Uhr.
Aufgrund ihrer begrenzten Erfahrung mit Ticktack nahm Harry an, dass ihr psychotischer Houdini sich mindestens eine Stunde, aber gewöhnlich eher anderthalb, zwischen seinen Auftritten ausruhen musste, um seine übernatürlichen Batterien wieder aufzuladen, ungefähr die gleiche Zeit, die ein Zauberkünstler braucht, um sämtliche Seidentücher, Tauben und Kaninchen in die Ärmel zu stecken und sich auf die Nachtvorstellung vorzubereiten. Wenn das der Fall war, wären sie zumindest bis halb drei, vermutlich bis drei Uhr sicher.
Im günstigsten Fall also weniger als eine Stunde.
Harry war so auf das blinkende rote Licht seiner Uhr fixiert, dass er nicht mitbekommen hatte, was Connie zu der Schwester gesagt hatte. Entweder hatte sie die Dame mit ihrem Charme bezaubert oder sich eine unglaublich wirksame Drohung einfallen lassen, denn die Sicherheitskette wurde entfernt, die Tür geöffnet, sie erhielten lächelnd ihre Dienstausweise zurück und wurden ins Pacific View gebeten.
Als die Nachtaufsicht Janet und Danny sah, die auf den unteren Treppenstufen verborgen gewesen waren, bekam sie Bedenken. Als sie den Hund sah, bekam sie noch mehr Bedenken, obwohl er mit dem Schwanz wedelte und grinste und sich offenbar bewusst einschmeicheln wollte. Als sie dann Sammy sah - und roch - wurde sie fast wieder unzugänglich.
Für Polizisten wie für Vertreter besteht die Hauptschwierigkeit immer darin, durch die Tür zu kommen. Wenn sie erst mal drinnen waren, waren Harry und Connie genauso schwer loszuwerden wie ein gewöhnlicher Staubsaugerverkäufer, der wild entschlossen ist, alle möglichen Schmutzsorten auf dem Teppich zu verteilen, um die hervorragende Saugkraft seines Produkts zu demonstrieren.
Als der philippinischen Schwester klar wurde, dass die Patienten des Heims mehr gestört würden, wenn sie sich widersetzte, als wenn sie sich kooperativ zeigte, sprach sie ein paar melodische Worte in Tagalog, die, wie Harry annahm, ein Fluch über ihre Vorfahren und Nachkommen waren, und führte sie dann durch das Gebäude zum Zimmer der Patientin, die sie suchten.
Es war nicht weiter erstaunlich, dass es in Pacific View nur eine Frau ohne Augen gab, deren Lider über den leeren Augenhöhlen zugenäht waren. Ihr Name war Jennifer Drackman.
Der gut aussehende, aber »reservierte« Sohn von Mrs. Drackman - so wurde ihnen unterwegs flüsternd anvertraut - bezahlte für die besten Privatschwestern, die sich jeden Tag in drei Schichten um seine »geistig verwirrte« Mutter kümmerten. Sie war die einzige Patientin in Pacific View, die eine derart »erdrückende« Fürsorge zusätzlich zu der bereits »aufwendigen« Pflege erhielt, die das Heim als Minimalleistung anbot. Damit und mit weiteren viel sagenden Wörtern machte die Nachtaufsicht auf höfliche Weise klar, dass sie den Sohn nicht mochte, die Privatschwestern für überflüssig hielt und als eine Beleidigung für das Personal ansah und dass ihr die Patientin unheimlich war.
Die Privatschwester, die die zweite Nachtschicht hatte, war eine exotische schwarze Schönheit namens Tanya Delaney. Sie war sich nicht sicher, ob sie es
Weitere Kostenlose Bücher