Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Definition von Normalität begründete. Wie die bewaffneten Gangster, die kürzlich die Angestellten eines Lebensmittelladens nicht mit Pistolen, sondern mit Spritzen voller AIDS verseuchtem Blut bedroht hatten.
    Connie rief dem Kerl zu: »Let Me Be Your Teddy Bear«, was Harry eine seltsame Wende in dieser Unterhaltung aus Songtiteln erschien.
    Doch der Mann antwortete ihr sogleich mit einer Stimme voller Verlangen und Argwohn: » You Don’t Know Me.«
    Connie brauchte nur wenige Sekunden, bis ihr die richtige Fortsetzung einfiel: »Doncha Think It’s Time?«
    Apropos bizarr: Richard Ramirez, der Serienmörder, der unter dem Namen »Jäger der Nacht« bekannt war, wurde im Gefängnis regelmäßig von Scharen gut aussehender junger Frauen besucht, die ihn attraktiv und aufregend fanden und in ihm eine romantische Gestalt sahen. Oder vor nicht allzu langer Zeit dieser Kerl in Wisconsin. Der kochte sich Teile seiner Opfer zum Abendessen, hatte reihenweise abgetrennte Köpfe im Kühlschrank, und die Nachbarn sagten, well, yeah, seit Jahren kamen üble Gerüche aus seiner Wohnung und ab und zu hätten sie auch Schreie und das Geräusch einer Hochleistungs-Elektrosäge gehört, aber das Schreien dauerte nie lange an und außerdem wirkte der Typ so nett, ihm schien wirklich etwas an den Leuten zu liegen. Die Neunziger. Ein unvergleichliches Jahrzehnt.
    »Too Much«, sagte der Bursche schließlich, offenbar nahm er Connie ihr angebliches romantisches Interesse nicht ab.
    »Poor Boy«, sagte sie mit scheinbar echtem Mitgefühl.
    » Way Down.« Die Stimme des Mannes, die nun aufreizend weinerlich klang, hallte von den mit Spinnweben behangenen Dachsparren wider, als er seinen Mangel an Selbstachtung zugab, eine typische Entschuldigung der Neunziger.
    » Wear My Ring Around Your Neck«, machte Connie ihn an, während sie durch das Labyrinth streifte, zweifellos mit der Absicht, ihn sofort umzupusten, sobald er ihr unter die Augen kam.
    Der Mann gab keine Antwort.
    Harry blieb ebenfalls in Bewegung und suchte eifrig jede düstere Nische und jeden Seitenweg ab, doch er fühlte sich nutzlos. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass man im letzten Jahrzehnt dieses seltsamen Jahrhunderts ein Experte in Rockn’-Roll Titeln sein müsste, um ein guter Cop zu sein.
    Ihm war diese ganze Scheiße zuwider, aber Connie genoss es. Sie hatte sich ganz auf das Chaos der Zeit eingelassen; es war etwas Dunkles und Wildes in ihr.
    Harry kam an einen Gang, der im rechten Winkel zu seinem verlief. Er war leer bis auf ein paar nackte Schaufensterpuppen, die schon vor längerer Zeit übereinander gefallen waren. Auf den Knien, die Schultern schützend vorgebeugt, bewegte Harry sich weiter fort.
    » Wear My Ring Around Your Neck«, rief Connie erneut von einer anderen Stelle des Labyrinths.
    Vielleicht zögerte der Bursche, weil er dachte, das sei ein Angebot, das ein Typ einem Mädchen machen sollte und nicht umgekehrt. Obwohl er eindeutig ein Mann der Neunziger war, hatte der Scheißkerl vielleicht noch eine altmodische Vorstellung von den Geschlechterrollen.
    »Treat Me Nice«, sagte Connie.
    Keine Antwort.
    »Love Me Tender«, sagte Connie.
    Der Mann antwortete immer noch nicht, und Harry machte sich Sorgen, aus der Unterhaltung könnte ein Monolog geworden sein. Der Kerl könnte ganz nah bei Connie sein und sie reden lassen, damit er ihr endlich den Garaus machen konnte.
    Harry wollte gerade einen Warnruf ausstoßen, da wurde das Gebäude von einer Explosion erschüttert. Er erstarrte, verschränkte die Arme schützend über dem Gesicht. Doch die Detonation hatte nicht auf dem Dachboden stattgefunden; es hatte keinen Blitz gegeben.
    Aus dem unteren Stockwerk hörte man schmerzerfüllte und panische Schreie, vermischt mit Stimmengewirr und zornigen Ausbrüchen.
    Offenbar waren weitere Polizisten in den Raum unter ihnen vorgedrungen, von wo aus die Leiter zum Dachboden führte, und der Bursche hatte sie gehört. Er hatte eine Handgranate durch die Falltür geworfen.
    Die grässlichen Schreie beschworen in Harrys Kopf ein Bild von einem Mann herauf, der sich bemühte, seine Därme daran zu hindern, ihm aus dem Bauch zu fallen.
    Er wusste, dass er und Connie einen ihrer seltenen Augenblicke totaler Übereinstimmung erlebten, beide dasselbe Entsetzen und dieselbe Wut empfanden. Ausnahmsweise scherte er sich einen Dreck um die gesetzlich verankerten Rechte des Kerls, um den angemessenen Gebrauch von Gewalt oder die korrekte Vorgehensweise. Er

Weitere Kostenlose Bücher