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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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auf sie einging, sondern aus dem ganz ähnlichen Verlangen, sie auszutricksen.
    »Playing for Keeps, One Broken Heart for Sale«, sagte Connie.
    Sie hörte sich an, als ob sie direkt über Harry wäre; sie musste ganz nahe bei ihm im nächsten oder übernächsten Gang sein.
    »Ain’t That Loving You Baby, Crying in the Chapel«. Connies Flüstern klang jetzt nicht mehr verführerisch, sondern ziemlich grimmig, als hätte auch sie gemerkt, dass mit dem Dialog irgendwas nicht mehr stimmte.
    Harry wartete gespannt auf die Antwort des Mannes und schielte in die Dunkelheit vor sich. Dann sah er sich um, von wo er hergekommen war, und stellte sich plötzlich vor, dass der lächelnde Killer mit dem Mondgesicht hinter ihm her geschlichen kam.
    Der Dachboden schien nicht bloß still, sondern die Quelle aller Stille zu sein, so wie die Sonne die Quelle des Lichts ist. Die unsichtbaren Spinnen bewegten sich verstohlen durch die dunklen Ecken des hohen Raumes, Millionen von Staubkörnern schwebten lautlos wie Planeten und Asteroiden im luftlosen leeren Raum, und zu beiden Seiten von Harry starrten Gruppen von Schaufensterpuppen, ohne etwas zu sehen, lauschten, ohne etwas zu hören, und posierten, ohne es zu wissen.
    Zwischen zusammengebissenen Zähnen wie eine Drohung ausgestoßen, war Connies Flüstern längst keine Einladung mehr, sondern eine Herausforderung; und ihr Rap bestand nicht mehr nur aus Song-Titeln: »Anyway You Want Me, du Arsch, komm, komm her zu deiner Mama. Let Yourself Go, Drecksack.«
    Keine Antwort.
    Auf dem Dachboden war es still, aber zugleich auf unheimliche Weise regungslos; es herrschte weniger Bewegung als im Gehirn eines Toten.
    Harry hatte das seltsame Gefühl, als würde er zu einer der Schaufensterpuppen, die um ihn herum standen, als würde sich sein Fleisch in Gips verwandeln, seine Knochen in Metallstäbe, all seine Sehnen in Drahtbündel. Er gestattete nur seinen Augen, sich zu bewegen, und sein Blick glitt über die leblosen Bewohner des Dachbodens.
    Angemalte Augen. Bleiche Brüste mit beständig aufgerichteten Brustwarzen, rundliche Oberschenkel und straffe Gesäße zeichneten sich vage in der Dunkelheit ab. Unbehaarte Körper. Männer und Frauen. Kahlköpfig oder mit verfilzten, Staub verklebten Perücken.
    Angemalte Lippen. Wie zum Kuss gespitzt oder zu einem scherzhaften Schmollen verzogen oder leicht geöffnet wie in erotischem Erstaunen über die knisternde Spannung in der Berührung des Geliebten. Andere zeigten ein schüchternes Lächeln, manche verschämt, manche etwas breiter, und das matte Schimmern von Zähnen, hier ein eher nachdenkliches Lächeln und dort ein volles, ewiges Lachen. Nein. Falsch. Das matte Schimmern von Zähnen. Die Zähne von Schaufensterpuppen schimmern nicht. An den Zähnen von Schaufensterpuppen ist kein Speichel.
    Welcher, der da, der da hinten in der Nische, hinter vier echten Schaufensterpuppen, ein cleverer Schauspieler, er schielte zwischen kahlen und Perücken tragenden Köpfen hindurch, ging fast im Dunkel unter, doch die feuchten Augen glänzten im Halbdunkel, keine zwei Meter entfernt, von Angesicht zu Angesicht, das Lächeln wurde offener, während Harry zusah, offener, aber genauso wenig humorvoll wie eine Wunde, das schwache Kinn, das Mondgesicht und ein weiterer Song-Titel, so leise, dass man ihn kaum hören konnte: »Blue Moon.« Harry erfasste das alles in einem Augenblick und brachte dabei schon die Mündung seines Revolvers hoch und drückte den Abzug.
    Der Kerl eröffnete das Feuer mit seiner 9mm Browning vielleicht den Bruchteil einer Sekunde früher als Harry, und der Dachboden füllte sich mit dem Krachen und dem Widerhall von Schüssen. Er sah den Blitz aus der Pistolenmündung, die direkt vor seiner Brust zu sein schien, o Gott, bitte, und er leerte seinen Revolver schneller, als das überhaupt möglich schien, alles in der Kürze eines Augenzwinkerns, wenn er gewagt hätte, mit den Augen zu zwinkern. Der Rückstoß der Waffe war so stark, dass sie ihm aus der Hand zu rutschen drohte.
    Etwas schlug ihm hart gegen den Bauch, und er wusste, er war getroffen worden, obwohl er jetzt noch keinen Schmerz spürte, nur einen heftigen Druck und eine Hitzewelle. Und bevor der Schmerz sich bemerkbar machen konnte, wurde er nach hinten gerissen, Schaufensterpuppen fielen auf ihn und schoben ihn gegen die Gangwand. Die aufgestapelten Kisten schwankten und einige fielen in den nächsten Gang des Labyrinths. Harry landete unter dem Geklapper von

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