Drachentränen
sagte: »Danke.«
»Dir auch.«
Das war wahrscheinlich die einzige Anspielung, die sie jemals darauf machen würden, dass ihr Überleben davon abgehangen hatte, dass sie ein gutes Team waren.
Mit Horror vor der Menge der Schaulustigen ging er weiter zur Eingangstür.
Hinter ihm entstand ein feuchtes, schmatzendes Geräusch, als die Frau aus dem gerinnenden Blut aufgehoben wurde, das sie fast an den Fußboden geklebt hatte.
Manchmal wusste er nicht mehr, warum er überhaupt Polizist geworden war. Es schien ihm weniger eine Berufswahl als eine Wahnsinnstat gewesen zu sein.
Er fragte sich, was er vielleicht geworden wäre, wenn er nicht zur Polizei gegangen wäre, doch wie immer fiel ihm nichts dazu ein. Vielleicht gab es so etwas wie Schicksal, eine Macht, die unendlich größer war als die Kraft, die die Erde um die Sonne bewegte und die Planeten in ihrer Laufbahn hielt, die Männer und Frauen durch das Leben führte, als ob sie nur Figuren auf einem Schachbrett wären. Vielleicht war der freie Wille nichts als eine verzweifelte Illusion.
Der uniformierte Beamte am Eingang trat zur Seite, um ihn hinauszulassen. »Der reinste Zoo«, sagte er.
Harry war sich nicht sicher, ob der Polizist sich auf das Leben im allgemeinen bezog oder auf den Haufen Schaulustiger.
Draußen war es viel kühler als zu dem Zeitpunkt, als Harry und Connie zum Mittagessen in das Restaurant gegangen waren. Über der grünen Wand von Bäumen war der Himmel grau wie ein Grabstein.
Hinter den spanischen Reitern der Polizei und dem straff gespannten gelben Absperrband drängelten sich sechzig bis achtzig Personen und reckten die Hälse, um einen besseren Blick auf das Schlachtfeld werfen zu können. Junge Leute mit New-Wave Haarschnitten standen Schulter an Schulter mit älteren Bürgern, Geschäftsmänner im Anzug neben Beach Boys in abgeschnittenen Jeans und Hawaiihemden. Einige aßen dicke Schokoladenkekse, die sie in einer Bäckerei in der Nähe gekauft hatten, und sie waren im großen und ganzen guter Dinge, als ob von ihnen niemals jemand sterben könnte.
Harry nahm unbehaglich zur Kenntnis, dass die Menge Interesse an ihm zeigte, als er aus dem Restaurant trat. Er vermied jeden Blickkontakt. Er wollte die mögliche Leere in ihren Augen gar nicht sehen.
Er wandte sich nach links und ging an dem ersten großen Fenster vorbei, das noch intakt war. Dahinter war die zerbrochene Scheibe, von der nur noch ein paar Scherben wie Zähne aus dem Rahmen ragten. Überall auf dem Asphalt lag Glas herum.
Der Bürgersteig zwischen der Polizeiabsperrung und der Vorderfront des Gebäudes war leer - doch dann schlüpfte ein junger Mann von etwa Zwanzig zwischen zwei Bäumen am Bordstein unter dem gelben Band hindurch. Er überquerte den Gehweg, als ob er gar nicht bemerkte, dass Harry auf ihn zukam. Seine Augen und seine ganze Aufmerksamkeit waren gebannt auf etwas drinnen im Restaurant gerichtet.
»Bleiben Sie bitte hinter der Absperrung«, sagte Harry.
Der Mann, es war eher ein junger Bursche mit abgetragenen Turnschuhen, Jeans und einem T-Shirt mit Reklame für Tecate-Bier, blieb vor dem zertrümmerten Fenster stehen und gab durch nichts zu erkennen, dass er die Ermahnung gehört hatte. Er beugte sich durch den Rahmen, grimmig auf etwas im Inneren fixiert.
Harry warf einen Blick in das Restaurant und sah, wie die Leiche der Frau in einen Sack vom Leichenschauhaus manövriert wurde.
»Ich hab’ Ihnen doch gesagt, Sie sollen hinter der Absperrung bleiben.«
Sie standen jetzt eng beieinander. Der junge Mann war ein paar Zentimeter kleiner als Harry mit seinen ein Meter achtzig schlank und hatte dichte schwarze Haare. Er starrte auf die Leiche und auf die glänzenden, sich immer mehr rot färbenden Gummihandschuhe der Helfer aus dem Leichenschauhaus. Er schien nicht zu bemerken, dass Harry neben ihm stand und drohend auf ihn herabsah.
»Haben Sie mich verstanden?«
Der junge Mann reagierte nicht. Seine Lippen waren geöffnet wie in atemloser Spannung. Seine Augen waren glasig, als ob er hypnotisiert wäre.
Harry legte eine Hand auf die Schulter des Jungen.
Langsam wandte sich der junge Mann von dem Blutbad ab, hatte aber immer noch diesen abwesenden Blick, als ob er durch Harry hindurch starrte. Seine Augen hatten das Grau von leicht angelaufenem Silber. Seine rosa Zunge leckte bedächtig über seine Unterlippe, als ob er gerade etwas besonders Schmackhaftes gegessen hätte.
Weder die Tatsache, dass der Kerl ihm nicht gehorchte, noch die
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