Drachentränen
irgendwie in sie verliebt war. Das war er nicht. Aber er war ein Mann, sie war eine Frau, und sie arbeiteten sehr eng zusammen. Deshalb war es für ihn ganz natürlich, dass ihm auffiel, dass ihr dunkelbraunes, fast schwarzes Haar wunderschön dicht war und seidig glänzte, obwohl sie es kurz schnitt und mit den Fingern kämmte. Ihre Augen hatten einen merkwürdigen Blauton, sie schimmerten violett, wenn das Licht aus einem bestimmten Winkel auf sie traf, und sie hätten unwiderstehlich verführerisch sein können, wenn es nicht die wachsamen und misstrauischen Augen einer Polizistin gewesen wären.
Sie war dreiunddreißig, vier Jahre jünger als Harry. In den seltenen Augenblicken, in denen sie ihre Schutzmaske fallen ließ, wirkte sie wie fünfundzwanzig. Die meiste Zeit allerdings ließ sie das düstere Wissen, das sie durch die Polizeiarbeit erworben hatte, älter aussehen als sie war.
»Warum starrst du mich an?« wollte sie wissen.
»Ich fragte mich nur gerade, ob du im Innern wirklich so hart bist, wie du tust.«
»Das solltest du inzwischen wissen.«
» Genau - das sollte ich.«
»Jetzt komm mir nicht mit Freud, Harry.«
»Mach ich nicht.« Er trank einen Schluck Wasser.
»Eins mag ich an dir, du versuchst nicht, jeden zu psychoanalysieren. Das ganze Zeug ist ein Haufen Scheiße.«
»Find’ ich auch.«
Es überraschte ihn nicht festzustellen, dass sie in dem Punkt einer Meinung waren. Trotz der zahlreichen Unterschiede zwischen ihnen hatten sie doch genügend Gemeinsamkeiten, um gut zusammenarbeiten zu können. Doch da Connie es vermied, etwas über sich preiszugeben, wusste Harry nicht, ob sie zu ihren ähnlichen Auffassungen aus ähnlichen oder total entgegen gesetzten Gründen gelangt waren.
Manchmal schien es ihm wichtig zu verstehen, warum sie bestimmte Überzeugungen hatte. An anderen Tagen war Harry genauso sicher, dass größere Intimität ihr Verhältnis durcheinander bringen würde. Und Durcheinander konnte er nicht vertragen. Oft war es klug, in einer beruflichen Beziehung allzu große Vertrautheit zu vermeiden, eine sichere Distanz zu wahren, eine Art Pufferzone - besonders wenn beide Schusswaffen trugen.
In der Ferne war Donnergrollen zu hören.
Ein kühler Luftzug drang durch das große zerbrochene Fenster mit seinen zackigen Rändern in den hinteren Bereich des Restaurants. Weggeworfene Papierservietten flatterten auf dem Fußboden.
Die Aussicht auf Regen gefiel Harry. Die Welt konnte eine Reinigung und Erfrischung vertragen.
Connie sagte: »Meldest du dich für eine Gehirnmassage an?«
Wenn sie jemanden erschossen hatten, riet man ihnen, ein paar Therapiesitzungen zu nehmen.
»Nein«, sagte Harry. »Mir geht es gut.«
»Warum machst du nicht Schluss für heute und gehst nach Hause?«
»Ich kann dich doch nicht mit allem allein lassen.«
»Ich komm’ schon zurecht.«
»Was ist mit dem Papierkram?«
»Das mach’ ich schon.«
»Yeah, aber deine Berichte sind immer voller Tippfehler.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du bist überdreht, Harry.«
»Das geht ja alles mit dem Computer, aber du machst dir noch nicht mal die Mühe, das Rechtschreibprogramm durchlaufen zu lassen.«
»Ich bin gerade mit Handgranaten beworfen worden. Scheiß-Rechtschreibprogramm.«
Er nickte und erhob sich von dem Tisch. »Ich geh’ ins Büro und fang’ mit dem Bericht an.«
Von einem weiteren langen, tiefen Donnergrollen begleitet, gingen zwei mit weißen Jacken bekleidete Helfer aus dem Leichenschauhaus auf die tote Frau zu. Unter Aufsicht eines Gerichtsmediziners bereiteten sie das Opfer für den Abtransport vor.
Connie gab Harry ihr Notizbuch. Für seinen Bericht würde er einige der Fakten brauchen, die sie gesammelt hatte.
»Bis später«, sagte sie.
»Bis später.«
Einer der Helfer hatte bereits einen undurchsichtigen Leichensack auseinandergefaltet. Er war so fest zusammengelegt gewesen, dass sich die Plastikschichten mit einem klebrigen, knisternden und unangenehm organischen Geräusch voneinander lösten.
Harry wurde von einer Welle der Übelkeit überrascht.
Die tote Frau hatte mit dem Gesicht nach unten gelegen, den Kopf von ihm abgewandt. Er hatte einen der anderen Detectives sagen hören, dass sie in Brust und Gesicht getroffen worden war. Er wollte nicht sehen, wie sie sie umdrehten und in den Sack packten.
Mit einiger Willenskraft unterdrückte er seine Übelkeit, wandte sich ab und ging in Richtung Eingangstür.
Connie sagte: »Harry?«
Er sah sich zögernd um.
Sie
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