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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Rattenmann tat ihm der Kopf weh, doch die bloße Aussicht darauf, zu überleben, löste bei ihm schon eine Migräne aus. Wer wollte denn überleben? Und warum? Der Tod würde nur später kommen, wenn nicht früher. Jedes Überleben war nur ein kurzfristiger Triumph. Das Ende hieß für alle Vergessen. Und in der Zwischenzeit nichts als Schmerz. Für Sammy schien das eigentlich Schreckliche an dem Rattenmann nicht, dass er Menschen tötete, sondern dass es ihm offenbar Spaß machte, sie vorher leiden zu lassen, dass er die Panik ankurbelte, den Schmerz vermehrte und seinen Opfern nicht den Gefallen tat, sie prompt aus der Welt zu entfernen.
    Sammy hielt die Flasche schräg und goss Wein in das Marmeladenglas, das zwischen seinen gespreizten Beinen auf dem Boden stand. Er hob das Glas an die Lippen. In der schimmernden, rubinroten Flüssigkeit suchte er eine glanzlose, friedliche, vollkommene Dunkelheit.
     

Kapitel 17
     

    Mickey Chan saß allein in einer der hinteren Nischen und konzentrierte sich auf seine Suppe.
    Connie sah ihn, sobald sie das kleine chinesische Restaurant in Newport Beach betrat. Zwischen Schwarz lackierten Stühlen und Tischen mit silbergrauen Tischdecken ging sie auf ihn zu. Ein rot und golden bemalter Drache wand sich in Schlangenlinien um die Lampenhalterungen an der Decke.
    Falls Mickey sie kommen sah, tat er jedenfalls so, als ob er sie nicht bemerkte. Er schlürfte Suppe aus dem Löffel, dann füllte er ihn wieder, ohne den Blick vom Inhalt der Schale zu heben.
    Er war klein, aber drahtig, Ende Vierzig und hatte kurz geschorene Haare. Seine Haut hatte die Farbe von antikem Pergament.
    Obwohl er seine weißen Klienten in dem Glauben ließ, er sei Chinese, war er in Wirklichkeit ein vietnamesischer Flüchtling, der nach der Eroberung Saigons in die Staaten gekommen war. Gerüchten zufolge war er in Saigon Detective bei der Mordkommission gewesen oder Beamter bei der South Vietnamese Internal Security Agency, was wahrscheinlich stimmte.
    Einige behaupteten, er sei als wahrer Schrecken im Verhörzimmer bekannt gewesen, ein Mann, dem jedes Mittel und jede Technik recht war, um den Willen eines mutmaßlichen Kriminellen oder Kommunisten zu brechen, doch Connie bezweifelte diese Geschichten. Sie mochte Mickey. Er war zwar knallhart, aber er hatte auch den Ausdruck eines Mannes an sich, der große Verluste erfahren hatte und zu tiefem Mitgefühl fähig war.
    Als sie zu seinem Tisch kam, sagte er, ohne seine Aufmerksamkeit von der Suppe abzuwenden: »Guten Abend, Connie.«
    Sie rutschte auf die andere Seite der Nische. »Du bist auf diese Schale fixiert, als ob darin der Sinn des Lebens wäre.«
    »Das ist er«, sagte er, immer noch löffelnd.
    »Tatsächlich? Sieht für mich wie Suppe aus.«
    »Man kann den Sinn des Lebens in einer Schale Suppe finden. Suppe beginnt immer mit einer Art Brühe, die dem sanften Strom der Tage gleicht, der unser Leben ausmacht.«
    »Brühe?«
    »Manchmal sind Nudeln in der Brühe, manchmal Gemüse, Eiweißstückchen, Hühner- oder Shrimpsfleisch, Pilze, vielleicht Reis.«
    Weil Mickey sie nicht ansah, starrte Connie allmählich fast genauso konzentriert über den Tisch in seine Suppe wie er selbst.
    Er sagte: »Manchmal ist sie heiß, manchmal kalt. Manchmal soll sie kalt sein, und dann ist sie trotzdem gut, auch wenn nicht das geringste bisschen Wärme drin ist. Aber wenn sie nicht kalt sein soll, dann wird sie bitter schmecken oder im Magen gerinnen oder beides.«
    Seine kräftige, aber leise Stimme hatte eine hypnotische Wirkung. Connie starrte gebannt auf die ruhige Oberfläche der Suppe und nahm alle übrigen Anwesenden im Restaurant nicht mehr wahr.
    »Bedenke, bevor die Suppe gegessen wird«, sagte Mickey, »hat sie einen Wert und einen Zweck. Nachdem sie gegessen ist, ist sie für alle wertlos, außer für denjenigen, der sie verzehrt hat. Und was die Erfüllung ihres Zwecks angeht, so hat sie aufgehört zu existieren. Zurück bleibt nur die leere Schale, was entweder Wunsch und Bedürfnis symbolisieren kann - oder die Vorfreude auf weitere Suppen, die die Zukunft bringt.«
    Sie wartete darauf, dass er fort fuhr und wandte erst den Blick von seiner Suppe, als ihr klar wurde, dass er jetzt sie anstarrte. Sie erwiderte seinen Blick und sagte: »Das ist es?«
    »Ja.«
    »Der Sinn des Lebens?«
    »Der ganze.«
    Sie runzelte die Stirn. »Das kapier’ ich nicht.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich auch nicht. Ich erfinde diesen Scheiß so nebenbei.«
    Sie

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