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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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glaubte, er wäre von Gott erwählt, die Menschheit für ihre Sünden zahlen zu lassen, war schließlich von dieser Vorstellung völlig besessen und stach drei oder vier Leute nieder, die vor einem Programmkino anstanden, das eine vom Regisseur überarbeitete Neufassung von Bill and Ted’s Excellent Adventure zeigte, mit zwanzig Minuten Filmmaterial, das in der ursprünglichen Fassung fehlte.
    »Weißt du, was ich dabei bin zu werden, Sammy?«
    Sammy umklammerte nur seine ihm verbliebene Zweiliterflasche.
    »Ich werde der neue Gott werden«, sagte der Rattenmann. »Wir brauchen dringend einen neuen Gott. Ich bin erwählt worden. Der alte Gott war zu gütig. Die Dinge sind außer Kontrolle geraten. Es ist meine Pflicht zu Werden, und wenn ich Geworden bin, strenger zu regieren.«
    Im Kerzenlicht glitzerten die verbliebenen Regentropfen an Haaren, Augenbrauen und Bart des Rattenmannes, als ob ein bedauerlich irregeleiteter Künstler ihn wie ein Faberg6-Ei mit Juwelen geschmückt hätte.
    »Wenn ich diese dringenderen Strafen verhängt und Gelegenheit gehabt habe, mich auszuruhen, komme ich zu dir zurück«, versprach der Rattenmann. »Ich wollte nur nicht, dass du glaubst, du seiest vergessen worden. Möchte nicht, dass du dich vernachlässigt und unverstanden fühlst. Armer, armer Sammy. Ich werde dich nicht vergessen. Das ist nicht nur ein Versprechen - es ist ein heiliges Wort des neuen Gottes.«
    Dann vollbrachte der Rattenmann ein übles Wunder, um sicherzustellen, dass er nicht vergessen würde, selbst nicht in dem tausend Faden tiefen Vergessen eines Meeres von Wein. Er blinzelte, und als seine Lider wieder hochschnellten, waren seine Augen nicht mehr schwarz wie Ebenholz und gelb, waren überhaupt keine Augen mehr, sondern Knäuel fetter, weißer Würmer, die sich in seinen Augenhöhlen wanden. Als er den Mund öffnete, waren aus seinen Zähnen rasiermesserscharfe Fänge geworden, von denen Gift tropfte. Eine glänzend schwarze Zunge flatterte wie die Zunge einer Beute aufspürenden Schlange, und er verströmte einen Atem, der stark nach verwestem Fleisch stank. Sein Kopf und sein Körper schwollen an, platzten, aber zerfielen diesmal nicht in eine Horde Ratten. Statt dessen wurde der Rattenmann samt seinen Kleidern in Zehntausende schwarzer Fliegen verwandelt, die bösartig brummend durch die Kiste schwärmten und gegen Sammys Gesicht stießen. Das laute Surren ihrer Flügel übertönte selbst das monotone Geräusch des strömenden Regens, und dann -
    Sie waren weg.
    Verschwunden.
    Die Decke hing nass und schwer vor der Öffnung der Kiste.
    Kerzenlicht flackerte und bebte über die hölzernen Wände.
    Es roch nach mit Heidelbeeraroma parfümiertem Wachs.
    Sammy nahm glucksend ein paar kräftige Schluck Wein direkt aus der Flasche, statt ihn zuerst in das schmutzige Marmeladenglas zu schütten, das er bisher benutzt hatte. Ein bisschen lief über sein mit Bartstoppeln übersätes Kinn, doch das war ihm egal.
    Er wollte einfach nur benommen bleiben. Distanz wahren. Wenn die Angst in den letzten paar Minuten an ihn rangekommen wäre, hätte er sich zweifellos in die Hose gemacht.
    Er fand es außerdem wichtig, Distanz zu wahren, um weniger emotional über das nachdenken zu können, was der Rattenmann gesagt hatte. Bisher hatte das Wesen wenig gesprochen und nie etwas über seine Motive oder Absichten preisgegeben. Jetzt ließ es all dieses Geplapper vom Stapel von wegen die Herde ausdünnen, Strafe und Gottheit.
    Es war nützlich zu wissen, dass das Hirn des Rattenmannes das gleiche verrückte Zeug enthielt, mit dem auch der Kopf des alten Mike, der die Kinobesucher erstochen hatte, voll gestopft gewesen war. Ungeachtet seiner Fähigkeit, aus dem Nichts aufzutauchen und sich in Luft aufzulösen, trotz seiner unmenschlichen Augen und der Fähigkeit, die Gestalt zu verändern, schien er durch dieses Gottesgeschwätz kaum etwas wesentlich anderes zu sein als einer der zahllosen Erben von Charles Manson und Richard Ramirez, die in der Welt herumzogen, auf innere Stimmen hörten, aus Spaß töteten und Kühlschränke mit den abgetrennten Köpfen ihrer Opfer füllten. Wenn er im Grunde wie diese anderen Verrückten war, dann war er trotz seiner besonderen Fähigkeiten genauso verwundbar wie sie.
    Selbst durch den Weinnebel hindurch erkannte Sammy, dass diese neue Einsicht ein nützliches Werkzeug zum Überleben sein könnte. Das Problem war nur, er war nie gut im Überleben gewesen.
    Vom Nachdenken über den

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