Drachentränen
blinzelte ihn an. »Du machst was?«
Mickey sagte grinsend: »Nun, das wird doch wohl von einem chinesischen Privatdetektiv erwartet. Markige Sprüche, unergründliche philosophische Bemerkungen, unverständliche Sprichwörter.«
Er war kein Chinese, und sein richtiger Name war auch nicht Mickey Chan. Als er in die USA kam und beschloss, seine Polizeierfahrung nutzbringend einzusetzen und Privatdetektiv zu werden, hatte er das Gefühl gehabt, dass vietnamesische Namen zu exotisch waren, um Vertrauen zu wecken, und für Rundaugen zu schwierig auszusprechen. Außerdem hatte er gewusst, dass er allein mit Klienten vietnamesischer Herkunft nicht viel verdienen würde. Zwei Dinge, die er an Amerika besonders liebte, waren Mickey-Mouse-Comics und Filme mit Charlie Chan, und es erschien ihm sinnvoll, einen anderen Namen anzunehmen. Wegen Disney, Rooney, Mantle und Spillane mochten die Amerikaner Leute, die Mickey hießen, und dank zahlreicher alter Filme war der Name Chan bei vielen im Unterbewusstsein mit genialen Ermittlungsfähigkeiten verbunden. Offenbar hatte Mickey gewusst, was er tat, denn er hatte sich eine gut gehende Agentur mit erstklassigem Ruf aufgebaut und hatte mittlerweile zehn Angestellte.
»Du hast mich reingelegt«, sagte sie und deutete auf die Suppe.
»Da bist du nicht die erste.«
Amüsiert sagte sie: »Wenn ich die richtigen Beziehungen hätte, würde ich ein Gericht dazu veranlassen, deinen Namen in Charlie Mouse zu ändern. Mal sehen, wie das funktionieren würde.«
»Ich bin froh, dass du noch lächeln kannst«, sagte Mickey.
Eine schöne junge Kellnerin mit pechschwarzen Haaren und mandelförmigen Augen kam an den Tisch und fragte, ob Connie etwas zu essen bestellen wollte.
»Nur eine Flasche Tsingtao, bitte«, sagte Connie. Und zu Mickey: »Mir ist nicht besonders nach Lächeln zumute, wenn du’s genau wissen willst. Du hast mir mit deinem Anruf heute morgen den Tag versaut, das kannst du mir glauben.«
»Dir den Tag versaut? Ich?«
»Wer sonst?«
»Vielleicht ein gewisser Herr mit einer Browning und ein paar Handgranaten?«
»Das hast du also schon gehört.«
»Wer nicht? Selbst in Südkalifornien ist das eine Geschichte, die in den Nachrichten vor dem Sport kommt.«
»An einem Tag, an dem nichts los ist, vielleicht.«
Er aß den Rest seiner Suppe.
Die Kellnerin brachte das Bier.
Connie hielt das gekühlte Pilsglas schief, um wenig Schaum zu bekommen, goss das Tsingtao ein, nahm einen Schluck und seufzte.
»Es tut mir leid«, sagte Mickey aufrichtig. »Ich weiß, wie gerne du eine Familie hättest.«
»Ich hatte eine Familie«, sagte sie. »Bloß sind alle weg.«
Im Alter von drei bis achtzehn Jahren war Connie in verschiedenen staatlichen Einrichtungen und Heimen aufgewachsen, jedes entsetzlicher als das vorhergehende, was bedeutete, dass sie hart sein und sich wehren musste. Aufgrund ihrer Persönlichkeit hatten sich keine Adoptiveltern gefunden und deshalb hatte sie auf diesem Weg den Heimen nicht entkommen können. Einige ihrer Charakterzüge, die sie als Stärke ansah, betrachteten andere Leute als Verhaltensprobleme. Von frühester Jugend an war sie eigenwillig gewesen, ernster als ihrem Alter entsprechend, praktisch unfähig, ein Kind zu sein. Um sich altersgemäß zu verhalten, hätte sie regelrecht schauspielern müssen, denn sie war eine Erwachsene im Körper eines Kindes gewesen.
Bis vor sieben Monaten hatte sie kaum einen Gedanken daran verschwendet, wer ihre Eltern gewesen sein mochten. Es schien keinen Sinn zu haben, darüber nachzudenken. Aus irgendeinem Grund hatten sie sie als Kind im Stich gelassen, und sie hatte keinerlei Erinnerung an sie.
Dann klemmte an einem sonnigen Sonntagnachmittag, als sie vom Flugplatz in Perris zum Fallschirmspringen gestartet war, ihre Reißleine. Mit der Überzeugung, dass sie tot war, bis auf die tatsächliche Erfahrung des Sterbens, fiel sie tausend Meter auf verteufelt trockenes, braunes Wüstengestrüpp zu. Ihr Fallschirm entfaltete sich im allerletzten Moment, der noch ein Überleben zuließ. Trotz einer rauen Landung hatte sie Glück gehabt; sie trug nichts weiter als einen verstauchten Knöchel davon, einige Abschürfungen an der linken Hand, blaue Flecken -und das plötzliche Bedürfnis zu wissen, wo sie herkam.
Alle mussten dieses Leben verlassen, ohne eine Ahnung zu haben, wohin es ging, deshalb schien es wichtig, zumindest etwas über den Anfang zu wissen.
In ihren dienstfreien Stunden hätte sie offizielle
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