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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Kanäle, Kontakte und Computer benutzen können, um ihre Vergangenheit zu erforschen, doch sie wandte sich lieber an Mickey Chan. Sie wollte nicht, dass ihre Kollegen in die Suche hineingezogen würden, sich für sie bemühten und neugierig wären - für den Fall, dass sie auf etwas stieß, das sie für sich behalten wollte.
    Tatsächlich war das, was Mickey Chan herausfand, nachdem er sechs Monate in offiziellen Akten herumgeschnüffelt hatte, nicht besonders schön.
    Als er ihr den Bericht in seinem stilvollen Büro mit den französischen Bildern aus dem 19. Jahrhundert und den Biedermeiermöbeln in Fashion Island gab, sagte er: »Ich bin im Nebenraum, ein paar Briefe diktieren. Sag mir, wenn du fertig bist.«
    Seine asiatische Zurückhaltung, die Andeutung, dass sie vielleicht gern allein sein wollte, bereiteten sie darauf vor, wie schlimm die Wahrheit war.
    Laut Mickeys Bericht hatte ein Gericht ihren Eltern das Sorgerecht für sie abgesprochen, nachdem sie wiederholt schwer * körperlich misshandelt worden war. Als Strafe für nicht weiter bekannte Vergehen - vielleicht auch einfach nur, weil sie lebte -schlugen sie sie, rasierten ihr die Haare ab, verbanden ihr die Augen, fesselten sie und sperrten sie achtzehn Stunden hintereinander in einen Wandschrank, außerdem brachen sie ihr drei Finger.
    Als sie der Obhut des Gerichts übergeben wurde, hatte sie noch nicht einmal sprechen gelernt, denn ihre Eltern hatten es ihr nie beigebracht oder ihr überhaupt erlaubt zu reden. Doch das Sprechen war ihr leicht gefallen, als ob sie die Rebellion genoss, die der bloße Akt des Sprechens darstellte.
    Allerdings hatte sie nie die Gelegenheit bekommen, ihre Eltern anzuklagen. Die waren nämlich bei einem schweren Frontalzusammenstoß nahe der Grenze zwischen Kalifornien und Arizona ums Leben gekommen, als sie aus dem Staat fliehen wollten, um sich der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen.
    Connie las Mickeys ersten Bericht mit grimmiger Faszination, weniger erschüttert über seinen Inhalt, als die meisten Leute gewesen wären, denn sie war lange genug Polizistin und hatte etwas in dieser Art schon oft gelesen - und noch Schlimmeres. Sie hatte nicht das Gefühl, dass der gegen sie gerichtete Hass auf ihre Fehler zurückzuführen war oder darauf, dass sie weniger liebenswert gewesen wäre als andere Kinder. Die Welt war halt manchmal so. Zu oft. Zumindest verstand sie jetzt endlich, warum sie bereits im zarten Alter von drei zu ernst, zu vernünftig für ihr Alter, zu eigenwillig, einfach zu verdammt hart gewesen war, um das niedliche, knuddelige Mädchen zu sein, nach dem Adoptiveltern suchten.
    Die Misshandlung musste schlimmer gewesen sein, als es sich in der nüchternen Sprache des Berichts anhörte. Zum einen duldeten die Gerichte normalerweise eine Menge elterlicher Brutalität, bevor sie eine so drastische Maßnahme ergriffen. Zum anderen hatte sie jegliche Erinnerung daran und auch an ihre Schwester verdrängt, wozu schon eine ziemliche Verzweiflung nötig war.
    Die meisten Kinder, die derartige Erfahrungen gemacht hatten, wuchsen wegen der unterdrückten Erinnerungen und des Gefühls der Wertlosigkeit zutiefst verunsichert auf- oder waren sogar völlig gestört. Sie dagegen hatte keine Zweifel an ihrem Wert als menschliches Wesen oder an ihrer Besonderheit als Individuum. Auch wenn sie vielleicht lieber ein freundlicher Mensch gewesen wäre, entspannter, weniger zynisch und öfter bereit zu lachen, mochte sie sich dennoch und war auf ihre Art zufrieden.
    Mickeys Bericht hatte aber nicht nur schlechte Nachrichten enthalten. Connie hatte erfahren, dass sie eine Schwester hatte, von der sie nichts wusste. Colleen. Constance Mary und Colleen Marie Gulliver, die erste drei Minuten vor der letzteren geboren. Eineiige Zwillinge. Beide missbraucht, beide auf Dauer aus der elterlichen Obhut entfernt, dann in unterschiedliche Einrichtungen gebracht, hatten sie von da an völlig ohne Wissen voneinander gelebt.
    Als sie an jenem Tag vor einem Monat in dem Besucherstuhl vor Mickeys Schreibtisch gesessen war, war Connie ein Freudenschauer den Rücken herunter gelaufen angesichts der Erkenntnis, dass jemand existierte, zu dem sie eine so einmalig intime Verbindung hatte. Eineiige Zwillinge. Plötzlich verstand sie, warum sie manchmal träumte, zwei Personen auf einmal zu sein und in diesen Schlaffantasien in doppelter Ausführung erschien. Obwohl Mickey damals noch nach Hinweisen auf Colleen suchte, hatte Connie zu hoffen

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