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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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als er bisher zuzugeben bereit gewesen war, doch vielleicht war ihm auch da die wahre Komplexität seiner Gefühle noch nicht klar geworden. Er wusste, dass sie ihm einiges bedeutete, doch warum das so war, war ihm immer noch teilweise ein Rätsel, wenn man bedachte, wie völlig verschieden sie waren und wie verschlossen sie in persönlichen Dingen war. Ebenso wenig war er sich der Tiefe seiner Zuneigung bewusst, außer dass sie tief war, auf jeden Fall tief genug, um die größte Offenbarung an einem Tag voller Offenbarungen zu sein.
    Als er am Hafen von Newport vorbeifuhr, sah er durch die Lücken zwischen den Bürohäusern zu seiner Linken die hohen Masten der Yachten, die mit eingerollten Segeln in die Nacht ragten. Wie ein Wald von Kirchtürmen. Sie erinnerten ihn daran, dass er wie viele Menschen seiner Generation ohne einen bestimmten Glauben aufgewachsen war, und als Erwachsener nie zu einem eigenen Glauben gefunden hatte. Zwar verleugnete er die Existenz Gottes nicht, es war ihm nur unmöglich, an ihn zu glauben.
    Wenn du dem Übernatürlichen begegnest, an wen wendest du dich? Wenn nicht an Geisterbeschwörer, dann an Gott. Wenn nicht an Gott… an wen dann?
    Fast sein ganzes Leben lang hatte Harry an Ordnung geglaubt, aber Ordnung war nur ein Zustand, keine Macht, die man um Hilfe bitten konnte. Trotz aller Brutalität, mit der er in seinem Job konfrontiert wurde, hatte er nicht aufgehört, an den Anstand und den Mut von Menschen zu glauben. Das hielt ihn jetzt aufrecht. Er ging zu Connie Gulliver nicht nur, um sie zu warnen, sondern auch um ihren Rat zu suchen, sie zu bitten, ihm dabei zu helfen, einen Weg aus der Dunkelheit zu finden, die sich über ihn gesenkt hatte.
    An wen wendest du dich? An deinen Partner.
    Als er an der nächsten roten Ampel anhielt, wurde er aufs neue überrascht, doch diesmal nicht von etwas, das er in seinem Inneren entdeckte. Die Heizung hatte das Auto erwärmt, und er zitterte längst nicht mehr so schlimm. Doch er spürte immer noch etwas Hartes und Kaltes über seinem Herzen. Die neueste Überraschung befand sich in seiner Hemdtasche, an seiner Brust, keine Empfindungen, sondern etwas, das er herausfischen, in der Hand halten und sich ansehen konnte. Vier formlose, dunkle Klumpen. Metall. Blei. Obwohl er auch nicht annähernd begreifen konnte, wie sie in seine Tasche geraten waren, wusste er, um was es sich handelte: die Kugeln, die er in den Landstreicher gepumpt hatte, vier Bleikugeln, die verformt waren, nachdem sie bei hoher Geschwindigkeit mit Fleisch, Knochen und Knorpeln zusammengestoßen waren.
     

Kapitel 21
     

    Harry zog Jacke, Krawatte und Hemd aus, um sich so gut es ging in Connies Badezimmer zu säubern. Seine Hände waren so rußig, dass sie ihn an die Hände des Landstreichers erinnerten und kräftig eingeseift werden mussten, um sauber zu werden. Er wusch sich Haare, Gesicht, Oberkörper und Arme im Waschbecken, wobei er mit dem Ruß und der Asche auch ein wenig von seiner Müdigkeit abwusch, dann kämmte er sich mit ihrem Kamm die Haare zurück.
    An seinen Sachen konnte er nicht viel machen. Er wischte sie mit einem trockenen Waschlappen ab, um den oberflächlichen Schmutz zu beseitigen, doch sie blieben irgendwie fleckig und stark verknittert. Sein weißes Hemd war jetzt grau, von einem vagen Schweißgeruch und dem stärkeren Gestank nach Rauch durchdrungen, doch er musste es wieder anziehen, weil er nichts zum Umziehen hatte. Soweit er denken konnte, hatte er sich noch nie in einem so unordentlichen Zustand sehen lassen.
    Er versuchte, seine Würde wiederherzustellen, indem er den oberen Knopf seines Hemds schloss und die Krawatte umband.
    Mehr noch als der erbärmliche Zustand seiner Kleidung machte ihm sein körperlicher Zustand Sorgen. Sein Unterleib tat ihm weh an der Stelle, wo sich die Hand der Schaufensterpuppe in ihn gebohrt hatte. In seinem Kreuz pochte ein dumpfer Schmerz und zog sich das halbe Rückgrat hinauf, ein Andenken an die Wucht, mit der der Penner ihn gegen die Wand geknallt hatte. Sein linker Oberarm war am ganzen Trizeps ebenfalls schmerzempfindlich, weil er darauf gelandet war, als der Penner ihn vom Flur ins Schlafzimmer geworfen hatte.
    Solange er in Bewegung gewesen war, um sein Leben gerannt und mit Adrenalin voll gepumpt war, hatte er nicht bemerkt, wo es ihm überall weh tat, doch jetzt brachte die Entspannung das alles zum Vorschein. Er machte sich Sorgen, seine Muskeln und Gelenke könnten steif werden. Er war ziemlich

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