Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
mit einem Klapptisch und vier Klappstühlen mit gepolsterten Sitzen ausgestattet. Die Schränke waren größtenteils leer und enthielten nur ein Minimum an Töpfen und Utensilien, um ein schnelles Essen zu kochen, einige Schüsseln, vier flache Teller, vier Salatteller, vier Tassen mit Untertassen, vier Gläser - immer vier, weil das das kleinste Service gewesen war, das sie finden konnte - sowie Konserven. Sie lud niemals Gäste ein.
    Besitztümer interessierten sie nicht. Sie war ohne Besitz aufgewachsen und hatte sich nur mit einem ramponierten Koffer voll Kleidung von einem staatlichen Heim zum anderen treiben lassen.
    Im Gegenteil, sie fühlte sich von Besitz nur belastet, angebunden, gefangen. Sie besaß kein bisschen Krimskrams. Das einzige dekorative Element an den Wänden war ein Poster in der Küche, ein Foto, das von einem Fallschirmspringer aus fast dreitausend Meter Höhe aufgenommen worden war - grüne Felder, sanfte Hügel, ein ausgetrocknetes Flussbett, vereinzelte Bäume, zwei geteerte und zwei unbefestigte Straßen, die so schmal wie Fäden waren und sich wie Linien auf einem abstrakten Gemälde schnitten. Sie war eine eifrige Leserin, doch all ihre Bücher stammten aus der Leihbibliothek. Auch die Videofilme, die sie sich ansah, waren geliehen.
    Das Auto gehörte ihr allerdings, doch das war ebenso sehr ein Vehikel der Freiheit wie ein stählerner Klotz am Bein.
    Freiheit war das, was sie suchte und was ihr wichtig war, nicht Schmuck, Kleider, Antiquitäten und Kunstgegenstände, doch sie war manchmal schwerer zu bekommen als ein Original-Rembrandt. In dem langen, köstlichen freien Fall, bevor der Fallschirm aufgemacht werden musste, darin lag Freiheit. Auf einem schweren Motorrad auf einem einsamen Highway konnte sie eine gewisse Freiheit finden, doch auf einer Moto-
    Cross-Maschine in der Weite der Wüste war es noch besser, wenn man nichts sah außer Sand, Felsnasen und vertrocknetem Gestrüpp, ein Panorama, das sich nach allen Seiten auf den blauen Himmel zu erstreckte.
    Während sie die Pizza aß und das Bier trank, nahm sie die Fotos aus dem braunen Umschlag und betrachtete sie. Ihre tote Schwester, die ihr so ähnlich war.
    Sie dachte an Ellie, das Kind ihrer Schwester, das oben in Santa Barbara bei den Ladbrooks lebte, dessen Gesicht zwar nicht auf den Bildern war, das aber möglicherweise Connie so sehr ähnelte, wie Colleen es getan hatte. Sie versuchte, sich darüber klar zu werden, was es für sie bedeutete, eine Nichte zu haben. Wie Mickey Chan angedeutet hatte, war es wunderbar, eine Familie zu haben, nicht mehr allein auf der Welt zu sein, nachdem sie so lange allein gewesen war, wie sie sich erinnern konnte. Ein angenehmer Schauer durchfuhr sie, wenn sie an Ellie dachte, doch er wurde gedämpft von der Sorge, dass eine Nichte sich als viel größere Belastung erweisen könnte als alle materiellen Besitztümer der Welt.
    Was war, wenn sie Ellie kennen lernte und gerne mochte?
    Nein. Jemanden gern zu haben war für sie kein Problem. Sie hatte schon häufiger Leute gern gehabt, die sie auch mochten. Liebe. Darüber machte sie sich Sorgen.
    Sie vermutete, dass Liebe nicht nur etwas Schönes war, sondern auch eine Fessel sein konnte. Welche Freiheit konnte man verlieren, wenn man jemanden liebte - oder geliebt wurde? Sie wusste es nicht, weil sie niemals ein Gefühl gegeben oder empfangen hatte, das so stark und tief wie Liebe war - oder wie sie zumindest glaubte, dass Liebe sein müsste, nachdem sie in so vielen berühmten Romanen davon gelesen hatte. Sie hatte gelesen, dass Liebe eine Falle sein konnte, ein grausames Gefängnis, und sie hatte selbst gesehen, wie die Herzen einiger Leute unter ihrem Gewicht zerbrochen waren.
    Sie war so lange allein gewesen.
    Aber sie fühlte sich wohl in ihrer Einsamkeit.
    Veränderung bedeutete ein furchtbares Risiko.
    Sie betrachtete in den fast lebensechten Farben von Kodachrome das lächelnde Gesicht ihrer Schwester, die von ihr durch die dünne, glänzende Schicht der Fotografie getrennt war -und durch fünf Jahre Tod.
    Von allen traurigen Worten, die je gesprochen oder geschrieben wurden, sind die traurigsten: »Es hätte sein können!«
    Sie würde ihre Schwester nie kennen lernen. Aber sie konnte immer noch ihre Nichte kennen lernen. Dazu brauchte sie nur Mut.
    Sie nahm sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank, ging an den Tisch zurück und setzte sich, um Colleens Gesicht noch etwas länger zu betrachten - und stellte fest, dass eine Zeitung

Weitere Kostenlose Bücher