Drachentränen
Ding gesessen hat. Es war lange hier, mehr als einmal, viele Male.
Die Frau sagt, Wer ist da?
Sie stinkt nach saurem Schweiß. Krankheit, aber noch mehr als das. Traurigkeit. Tiefe, kraftlose, schreckliche Traurigkeit.
Und Angst. Stärker als alles andere der scharfe, durchdringende, eiserne Geruch von Angst.
Wer ist da? Wer?
Laufende Schritte auf dem langen, schmalen Raum draußen, Leute kommen.
Angst so stark, dass der seltsam-böse Geruch fast verdeckt wird von Angst, Angst, Angst, Angst.
Angelina? Sind Sie das, Angelina?
Der böse Geruch, der Geruch von dem Ding ist um das ganze Bett herum, auf dem Bett drauf. Das Ding hat hier gestanden und mit der Frau geredet, noch nicht lange her, heute, sie berührt, das weiße Tuch über ihr berührt, seine widerlichen Spuren dort, oben auf dem Bett, satt und schwer oben auf dem Bett bei der Frau, und interessant, oh so ungeheuer interessant.
Er rennt zurück zur Tür, dreht sich um, läuft zum Bett, springt, segelt, eine Pfote packt das Geländer, räumt aber alle anderen Hindernisse weg, dann ist er oben bei der kranken, Angstdurchnässten Frau, plumps.
Eine Frau schrie.
Janet hatte nie Angst gehabt, dass Woofer jemanden beißen könnte. Er war ein sanftmütiger und freundlicher Hund und schien keiner Seele etwas zuleide tun zu können, außer vielleicht dem Ding, das ihnen am Nachmittag in der Gasse entgegengetreten war.
Doch als sie hinter Angelina in das gedämpft beleuchtete Krankenhauszimmer stürmte und den Hund auf dem Bett der Patientin sah, glaubte Janet einen Augenblick, er würde die Frau angreifen. Sie zog Danny an sich, um ihm diesen brutalen Anblick zu ersparen, dann erst erkannte sie, dass Woofer nur mit gespreizten Beinen über der Patientin stand und an ihr herumschnupperte, heftig an ihr herumschnupperte, aber nichts Schlimmeres machte.
»Nein«, schrie die Kranke, »nein, nein«, als ob nicht nur ein Hund, sondern etwas aus den tiefsten Tiefen der Hölle auf sie gesprungen wäre.
Janet schämte sich wegen des Aufruhrs, fühlte sich verantwortlich und hatte Angst vor den Konsequenzen. Sie bezweifelte, dass sie und Danny noch länger zum Essen in der Küche von Pacific View willkommen sein würden.
Die Frau im Bett war dünn - noch mehr als dünn, ausgemergelt - und so bleich, im Lampenlicht wirkte sie fast so durchsichtig wie ein Geist. Ihr Haar war weiß und glanzlos. Sie wirkte uralt, ein vertrocknetes altes Weib, doch irgendwas an ihr löste bei Janet die Vermutung aus, dass die Ärmste jünger sein könnte, als sie aussah.
Mit offensichtlicher Schwäche bemühte sie sich, sich ein wenig von ihren Kissen aufzurichten und den Hund mit dem rechten Arm abzuwehren. Als sie merkte, dass Woofers Verfolger gekommen waren, drehte sie den Kopf zur Tür. Ihr ausgemergeltes Gesicht mochte früher schön gewesen sein, doch jetzt wirkte es wie das einer Leiche und zumindest in einem Punkt alptraumhaft.
Ihre Augen.
Sie hatte keine.
Janet schauderte unwillkürlich - und war dann doch froh, dass sie Danny an sich gezogen hatte.
»Nehmt es von mir weg!« schrie die Frau in panischer Angst, die in keinem Verhältnis zu der Bedrohung stand, die Woofer darstellte. »Nehmt es von mir weg!«
Wegen der dunklen und violetten Schatten schienen die Augenlider der Kranken bei flüchtigem Hinsehen lediglich geschlossen zu sein. Doch als das Lampenlicht direkter auf ihr abgehärmtes Gesicht fiel, wurde das wahre Grauen ihres Zustands erkennbar. Ihre Lider waren zugenäht wie bei einer Leiche. Der chirurgische Faden hatte sich zweifellos schon lange aufgelöst, doch die Ober- und Unterlider waren zusammengewachsen. Unmittelbar unter den Hautfetzen war nichts, was ihnen Halt gegeben hätte, deshalb waren sie nach innen gesackt und bildeten leichte Hohlräume.
Janet hatte das sichere Gefühl, dass die Frau nicht ohne Augen geboren worden war. Irgendein schreckliches Erlebnis, nicht die Natur, hatte ihr die Sehkraft geraubt. Wie schwer mussten ihre Verletzungen gewesen sein, wenn die Ärzte zu dem Schluss gekommen waren, dass man nicht einmal der Optik halber Glasaugen einsetzen konnte? Eine furchtbare Ahnung sagte Janet, dass diese blinde und verschrumpelte Patientin jemandem begegnet war, der schlimmer war als Vince und kaltblütiger als Janets eigene verabscheuungswürdige Eltern.
Als Angelina und ein Krankenpfleger sich dem Bett näherten, die blinde Frau »Jennifer« nannten und ihr versicherten, dass gleich alles in Ordnung wäre, sprang Woofer wieder auf
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