Drachenwacht: Roman (German Edition)
man ihnen mit Sicherheit Vorhaltungen machen würde, wenn sie nicht gingen, niemand jedoch ihnen vorwerfen könnte, sie hätten nicht ihre Pflicht getan, wenn sie ihren Tieren folgten, sobald diese sich aus dem Staub gemacht hätten. Auf jeden Fall dürfte es dann schwerer werden, sie überhaupt ausfindig zu machen, um sie für irgendetwas zur Rechenschaft zu ziehen.
»Wir könnten Anfang nächster Woche so weit sein«, sagte Lloyd in einem letzten, atemlosen Versuch. »Wenn Sie jetzt erst mal einen Happen fressen und ein bisschen schlafen würden …«
»Wir brechen sofort auf«, stellte Temeraire klar, richtete sich auf die Hinterbeine auf und rief: »Vorhut aufsteigen. Ihr könnt euer Frühstück mitnehmen.«
Moncey und die kleineren Drachen machten freudestrahlend einen Satz zur Herde, denn endlich einmal durften sie sich als Erste bedienen, stiegen dann in die Luft und setzten ihr Mahl beim Fliegen fort. Das sorgte zwar für nicht wenig spritzendes Blut überall, aber man sparte Zeit. Minnow schlang den Kopf ihrer Kuh hinunter und winkte mit der Flügelspitze: »Wir sehen euch beim Treffpunkt«, rief sie hinunter. »Los, ihr Lieben, wir brechen auf«, fügte sie an die anderen Kurierdrachen gewandt hinzu. Dann sausten sie in Richtung Nordosten entlang der geplanten Route davon.
»Können wir jetzt fressen?«, fragte Requiescat und sah ihnen vorwurfsvoll hinterher.
»Ja, ihr könnt alle fressen, aber nur die Hälfte der Ration. Den Rest müsst ihr für unterwegs mitnehmen, sonst fliegt ihr zu langsam und werdet am Ende wieder hungrig sein«, erklärte Temeraire. »Lloyd, wir fliegen nach Abergavenny oder landen kurz davor. Wissen Sie, wo das liegt?«
»Aber wir schaffen es nicht, bis morgen die ganze Herde dorthin zu treiben«, sagte Lloyd.
»Dann müssen Sie sie so nah wie möglich heranbringen, und wir
werden uns dann darum kümmern«, sagte Temeraire. Er hatte keine Lust mehr, sich Einwände anzuhören. »Ich habe Napoleons Armee kämpfen sehen, und in einer Woche wird sie in London einfallen. Also müssen wir ebenfalls dort sein.«
»Wir sind hundertfünfzig Meilen von London entfernt«, protestierte Lloyd.
»Umso mehr ein Grund, schnell voranzukommen«, sagte Temeraire und schwang sich nun ebenfalls in die Luft.
5
Laurence stand fassungslos inmitten des leeren Geheges und rief einige Male Temeraires Namen. Außer dem gemurmelten Echo, das die Berghänge zurückwarfen, bekam er keine Antwort, aber ein kleines, rotes Eichhörnchen hielt einige Augenblicke lang inne und beobachtete ihn, ehe es seinen Weg fortsetzte. Elsie landete ein zweites Mal hinter Laurence. »Nicht die Spur eines Drachen, Sir«, schrie Hollin. »Aber wir haben etwas gefunden …«
Elsie brachte sie zu einer Höhle hinauf, die weit in den Berghang hineinragte. Obwohl das Licht schnell schwächer wurde, konnte Laurence mit den Fingerspitzen die Buchstaben von Temeraires Namen erfühlen, welche tief ins Gestein geritzt worden waren. Also war er zumindest hier gewesen, und es war ihm so weit gut genug gegangen, dass er diese Spur hatte hinterlassen können. Es gelang ihnen, eine Fackel herzustellen, um die Höhle genauer in Augenschein zu nehmen, doch sie war im Innern zu aufgeräumt, als dass man Rückschlüsse hätte ziehen können, bis wann sie bewohnt gewesen war. Es ließen sich keine Knochen oder sonstige Überreste von Nahrung finden.
Erst zwei Tage waren seit der Invasion vergangen, und hier im Zuchtgehege hatten so viele Drachen gelebt. Wenn die Hirten ihre Posten verlassen hatten und die regelmäßige Lieferung von Vieh eingestellt worden war, dürften die Vorräte rasch aufgebraucht gewesen sein. Vom Hunger getrieben, mussten die Drachen sich in alle Winde zerstreut haben.
»Nun, wir sollten kein Unglück herbeireden«, meinte Hollin beschwichtigend. »Temeraire ist ein schlauer Bursche, und es kann noch nicht so lange her sein, dass sie aufgebrochen sind. Unten an
den Stallungen liegen ein paar frische Knochen, und sie sehen so aus, als stammten sie von heute Morgen.«
Laurence schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, er war nicht so dumm, bis zuletzt zu bleiben«, sagte er leise. »So viele Drachen dürften zweifellos alle Vorräte, die es hier gab, aufgefressen haben, als sie sich auf den Weg machten, und er braucht doch mehr Nahrung als die kleineren Tiere.«
»Ich bin ein kleineres Tier«, warf Elsie furchtsam ein, »und ich brauche auch etwas zu fressen. Aber hier gibt es ja rein gar nichts.«
So machten sie sich
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