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Drachenwacht: Roman (German Edition)

Drachenwacht: Roman (German Edition)

Titel: Drachenwacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Naomi Novik
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den gleichen Disput hatten sie schon einmal ausgefochten, damals in Istanbul, und seine Proteste waren eher ein Ausdruck von Unzufriedenheit als von neuen und zu allem entschlossenen Einwänden. »Wir haben keine Zeit, um uns zu streiten; Granbys ganzes Leben, nicht nur seine Freiheit, kann von schnellem Handeln abhängen«, sagte Laurence sanft, und Temeraire ließ sich mit angelegter Halskrause auf den Bauch sinken, fuhr mit den Klauen unfroh durch das verblichene Stroh auf der Weide, wirbelte Staub auf und durchfurchte den Erdboden.
    Laurence war froh über diesen Verlauf der Unterhaltung, auch wenn er ein wenig schuldbewusst war, da er Temeraire in gewisser Weise täuschte: Er wusste, dass er unter normalen Umständen in dieser Situation nicht dort hingehen würde, egal, wie sehr er es auch wollte. Wenn er den Franzosen in die Hände fiele, wäre Temeraire ein Gefangener, und in ihrer bereits angespannten Lage konnte man eigentlich ein solches Risiko nicht eingehen, nicht bei einer so geringen Chance, Granby und Iskierka zu befreien.
    Aber die Umstände waren nicht normal. Laurence war ein Mann,
der nach dem Gesetz bereits tot war. Sein Leben zu verlängern hatte keinen großen Wert für ihn, und solange er bei dem Befreiungsversuch nicht gefangen genommen, sondern getötet werden würde – was sich seiner Hoffnung nach würde arrangieren lassen –, wäre Temeraire für England nicht verloren. Dieser hatte mit Wellesley ein Abkommen getroffen und war nun selbst an sein Land gebunden, nicht nur durch Laurence.
    Und sonst gab es niemanden, der hätte gehen können. Iskierka war die Einzige in ihrer bunt gemischten Gruppe gewesen, die eine richtige Besatzung bei sich gehabt hatte, und alle Mitglieder davon waren zusammen mit ihr gefangen genommen worden: Leutnants, Oberfähnriche, selbst ihre Bodenmannschaft, die mit an Bord gewesen war. Alle, die nun noch übrig waren, gehörten zu Laurence’ bescheidener Besatzung, und an Senioroffizieren gab es nur Dunne und Wickley, die früher Oberfähnriche in Laurence’ Mannschaft gewesen waren und die Sprache der Wilddrachen gut genug verstanden, um als Übersetzer hilfreich zu sein. Einige andere Offiziere waren ebenfalls vor allem deswegen den Wilddrachen zugewiesen worden, weil sie ein Talent für Sprachen hatten, nicht wegen anderer Qualitäten. Die meisten von ihnen waren jung, sehr jung – näher an vierzehn als an zwanzig – und konnten nicht auf ein solches Himmelfahrtskommando geschickt werden.
    Tharkay warf ihnen einen Blick zu und sagte zu Laurence: »Besser, wir gehen allein.«
    Tharkay besaß zwar ein Offizierspatent des Korps, zumindest für den Moment, aber dies war nichts, was der normale Dienst einfordern durfte. »Sie müssen nicht …«, setzte Laurence an.
    »Nein«, stimmte Tharkay höflich zu und hob eine Augenbraue, woraufhin sich Laurence verbeugte und es dabei beließ. Doch diese keineswegs wortreiche Übereinkunft stärkte in besonderem Maß das Vertrauen der beiden außergewöhnlichen Männer zueinander und ließ den Umgangston zwischen ihnen sehr vertraulich werden.
    Laurence tauschte seinen flaschengrünen Mantel gegen Blythes
Lederkittel, dessen Taschen groß genug waren, um das eine oder andere zu verbergen: zwei Pistolen, ein gutes Messer und einen von Blythes Hämmern. Tharkay reichte ihm eine Handvoll Erde, die er sich ins Gesicht rieb, zwischen den Händen verteilte und in die er seine Fingernägel grub.
    Dunne beobachtete die Vorbereitungen aus der Ferne und warf den anderen Offizieren hin und wieder zögerliche Blicke zu. Er sagte jedoch nichts. Es war keine Feigheit. Früher hatte er seinen Mut häufig genug unter Beweis gestellt, sodass Laurence ihn nie anzweifeln würde. Dunnes Zurückhaltung hatte einen weniger angenehmen Grund: Offensichtlich wollte er nicht mehr unter Laurence dienen. Es konnte Dunnes Karriere nicht schaden, wenn er hier kooperierte – aber sehr wohl, wenn er sich dafür entschied, nicht mitzukommen, und Laurence nicht zurückkehrte –, und so war seine Ablehnung eine Frage des Prinzips.
    Laurence beugte den Kopf über seine frisch geladenen Pistolen, um von Dunnes Kampf nicht mehr als notwendig zu sehen. Die Missbilligung machte ihm im Augenblick nicht so schwer zu schaffen. Er fühlte sich wie ein Schiff, das einen gefährlichen, aber klaren Kurs – zumindest für die nahe Zukunft – eingeschlagen hatte, auch wenn sich auf der Leeseite ein Ufer vor dem Bug befand und sich undurchdringliche

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