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Drachenwacht: Roman (German Edition)

Drachenwacht: Roman (German Edition)

Titel: Drachenwacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Naomi Novik
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grimmig begriff, sondern wollte sich vielmehr verschanzen und dafür sorgen, dass Zeit und Gewöhnung das Nichthinnehmbare ins Alltägliche verwandelten.
    Die muhenden Kühe trotteten hinter dem Wagen her, angetrieben von Viehjungen. Der säuerliche Grasgeruch und der Staub der Straße umfingen sie wie Nebel. Laurence und Tharkay hatten sich mit ihren
Schillingen und dem Versuch, sich in Geduld zu üben, immerhin einen mühelosen Zugang zur Stadt gesichert: Der französische Sergeant, der an der Aldersgate Road seinen Dienst versah, strahlte beim Anblick des Viehs und winkte sie in die Stadt, nachdem er dem Bauern und seinen Begleitern ein oder zwei oberflächliche Fragen gestellt hatte. Er wies ihnen den Weg Richtung Smithfield und zu den Schlachthäusern. Laurence und Tharkay blieben noch eine kurze Wegstrecke lang auf dem Wagen sitzen, bis dieser vor dem Marktplatz um eine Ecke gebogen war und die Herde und die sie treibenden Jungen einen Augenblick lang außer Sichtweite waren. Tharkay berührte Laurence’ Ellbogen, und schnell und in wortloser Übereinkunft glitten sie hinten vom Wagen und schlüpften in eine enge Gasse.
     
    Das Gefängnis von Newgate war ihr Ziel. Mit einigen Münzen, die er in einer Schenke ausgab, erkaufte sich Laurence zusätzlich eine ordentliche Dosis Gerüchte, Klatsch und Tratsch: zumeist wertlos und unwichtig, abgesehen von der Information, dass Bonaparte in Kensington Palace residierte und dass »dieses unnatürlich weiße Tier von ihm sich im Hyde Park ringelt wie ein überdimensionierter Aal, mit seinen roten Augen«, was zu allgemeinem Schaudern führte.
    Tharkay hatte mehr Glück, wenn man es so nennen konnte: Einige Festgenommene waren tatsächlich im Gefängnis untergebracht worden, erfuhr er, doch es hatte heute keine Neuzugänge gegeben. Niemand hatte irgendjemanden gesehen. Aber ohne weitere Nachfragen wurde ihm von Iskierkas Auftauchen berichtet. Sie war ebenfalls im Hyde Park gesehen worden, wo sie zwei Kühe verspeist und praktisch die ganze Stadt mit Feuer bespuckt hatte, wenn man den Erzählungen Glauben schenken durfte. Ein Straßenkehrer schließlich schwor, dass kein britischer Flieger oder eine entsprechende Besatzung an diesem Tag nach Newgate gebracht worden sei.
    »Was uns trösten sollte«, sagte Tharkay, »ist die Tatsache, dass sie offenbar auch nicht zur Küste geschafft worden sind. Seit Iskierka
angekommen ist, ist keiner der großen Drachen aufgebrochen, und man hat Granby ganz bestimmt nicht mit dem Schiff transportiert.«
    »Vielleicht hat er Granby bei sich im Kensington-Palast untergebracht«, sagte Laurence nach kurzer Pause.
    »Das wäre natürlich sehr praktisch für uns«, bemerkte Tharkay trocken.
    »Ich weiß, es klingt wie eine Dummheit«, sagte Laurence, aber wenn du entschuldigst, dass ich nach nur einem Treffen mit Bonaparte eine Schlussfolgerung ziehe, so würde ich sagen, dass er über alle Maßen auf Verführung aus ist. Das geht so weit, dass er gerne glaubt, es gebe auch dann noch die Möglichkeit der Überzeugung, wenn der gesunde Menschenverstand einem sagt, dass der Punkt längst überschritten ist. Er wird sich niemals eine Gelegenheit für eine große Geste entgehen lassen, wenn er glaubt, er könne Granby in seine Dienste locken.«
    Tharkay lauschte und zuckte mit den Schultern. »Wir könnten die Gelegenheit nutzen, ehe die Spur kalt wird.«
     
    Es war schon dunkel, als sie am Rand von Mayfair anlangten. Hier und dort ging das Leben der Stadt seinen Gang, stiller jedoch als sonst. Aus Wirtshäusern strömten Wärme und der Geruch von frischem Bier auf das schmutzige Kopfsteinpflaster, Feuerschein drang durch die geschlossenen Fensterläden der Häuser jener Stadtbewohner, die nicht geflohen waren, sei es, weil sie nicht wollten oder weil sie nicht konnten.
    Im vornehmeren Viertel übernahm Laurence die Führung Tharkays. Er kannte diese Straßen gut, führten sie doch an Häusern vorbei, die seinem Vater, dessen Freunden und Bekannten aus der Politik gehörten, Männern, die Laurence während seiner Zeit in der Marine kennengelernt hatte. Die Fenster dieser Gebäude waren allesamt dunkel und von Läden geschützt. Laurence zögerte nicht: Er hatte diese Stille und aufgegebene Häuser erwartet, vielleicht sogar Zerstörung
und Plünderungen. Er ging unbeirrt weiter und schaute nicht, welcher Schaden angerichtet worden war, bis er die Dover Street erreichte und erstaunt stehen geblieben war: Auf ihr drängten sich Wagen, zehn

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