Drachenwacht: Roman (German Edition)
Fackelträger standen vor der Tür eines großen Stadthauses, edle Damen und ihre Anstandsdamen, englische Gentlemen und französische Offiziere, alle gingen die Treppen hinauf, und ein lautes, geschäftiges Gewirr von Musik, Gelächter und dem Geklapper von Geschirr wehte zu ihnen herunter.
Laurence blieb angewidert stehen und musste von Tharkay aus dem Schein der Fackeln gezogen werden. »Da werden wir nicht so einfach vorbeikommen«, sagte Tharkay. Laurence antwortete nicht sofort, so sehr schnürte ihm der Zorn die Stimme ab. Er hatte diesem Haus nie einen Besuch abgestattet, aber er meinte sich zu erinnern, dass es von einem Parlamentsmitglied aus Liverpool angemietet war, einem Mann, der möglicherweise einst seinen Vater gewählt hatte. Laurence fasste sich wieder und zog Tharkay einige Türen weiter die Straße hinunter bis zu einem noch immer bewohnten Haus, in dem es jedoch still war. Einige gedämpfte Lichter blitzten durch die geschlossenen Läden hindurch, aber es gab keine Feier, um die Eroberer willkommen zu heißen. Als sie so am Tor stehen blieben und warteten, hätte man sie für Dienstboten oder Stallburschen halten können, und sie zogen keinerlei Aufmerksamkeit auf sich. Mit ein wenig Glück waren der Hausbesitzer und seine Familie bereits im Bett.
So standen sie beinahe eine Stunde herum, stampften ein wenig, um sich die Füße aufzuwärmen, und zogen sich hin und wieder in die Schatten des Hauses zurück, wenn eine weitere Kutsche das Tor erreichte und ihre Reisenden ausspuckte. Jede Minute brachte einen neuen Grund, sich zu empören: der Geruch gebratenen Fleisches, ein Liedfetzen in französischer Sprache oder eine Dame, die mit einem französischen Offizier an den offenen Balkontüren vorbeitanzte. Der Strom der Kutschen verebbte kaum, während sie warteten. Ein trauriges Bild, wenn man bedachte, dass der König nach Schottland geflohen
war und Tausende englischer Soldaten tot oder gefangen genommen waren.
Und dann kam ein berittener Trupp die Straße herunter: die Alte Garde mit hohen Hüten und in prächtigem Aufzug. Die Reiter schrien, man solle die Straße für sie freimachen, und drängten die wartenden Kutschpferde beiseite, während sie auf die Proteste der Kutscher mit kühler Gleichgültigkeit reagierten. Auf diese Weise machten sie Platz für die große Kutsche, die nun heranrollte. Ein goldener Adler war auf die Tür gemalt. Das Gefährt kam vor dem Haus zum Stehen, und durch die Reihen von Wachen, die sich auf der Treppe aufgestellt hatten, sah Laurence Napoleon aus der Kutsche aussteigen und zum Haus hinaufgehen. Er trug Hosen, schwere Reitstiefel und einen langen Ledermantel, der auf dem offenen Schlachtfeld passender gewesen wäre als in einem Ballsaal, auch wenn er reich mit goldener Litze und ebensolchen Knöpfen besetzt und tiefschwarz gefärbt war. Ein anderer Mann lief neben ihm, einer der Marschälle: Murat, vermutete Laurence, der Schwager des Kaisers. Gemeinsam stiegen sie die Treppe empor, und aufbrandender Beifall hieß sie im Innern des Hauses willkommen.
»Abscheulich«, flüsterte ein Mann ganz ihrer Nähe; Laurence fuhr zusammen und drehte sich um: Während sie das Spektakel beobachtet hatten, waren zwei Gentlemen unmittelbar vor der Tür des Hauses, vor dem sie herumstanden, aus einer Kutsche ausgestiegen. Im Augenblick befanden sie sich zwischen ihm und Tharkay, der sich etwas tiefer in den Schatten des Hauses zurückgezogen hatte. »Wissen Sie was? Ich habe gehört, sogar Lady Hamilton nimmt daran teil.«
»Sie und die Hälfte der anderen vornehmen Damen, die in der Stadt geblieben sind«, erwiderte der andere Gentleman, dessen Stimme entfernt vertraut klang. »He, Sie da«, der Mann hob die Stimme und sprach Laurence direkt an, »was fällt Ihnen ein, sich auf der Straße herumzudrücken und zu gaffen, als wenn Sie im Theater wären? Verdammt, die brauchen nicht auch noch Ermutigung da
drüben.« Laurence ahnte Schlimmes, als er ihn erkannte: Bertram Woolvey, ein entfernter Bekannter und der Sohn eines Freundes seines Vaters.
Woolvey hatte Edith Galman geheiratet, was der Hauptgrund für die unterkühlte Stimmung zwischen ihm und Laurence war, doch auch schon vor diesem Ereignis waren sie keine Freunde gewesen. Woolvey war ein Spieler und ein Verschwender, was nur durch die Tatsache etwas besser gemacht wurde, dass er es sich immerhin leisten konnte. Sie hatten sich immer in unterschiedlichen Kreisen bewegt. Laurence wusste nichts Gutes über ihn zu
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