Drachenwege
rieche das Holz«, bestätigte das Mädchen.
Kindan tastete nach dem Schließmechanismus und öffnete die Verriegelung.
»Warte!«, raunte Nuella ihm zu. »Zuerst müssen wir uns davon überzeugen, dass niemand in der Nähe ist.
Spitz die Ohren und lausche, ob du etwas hörst.«
Er haderte mit sich und schämte sich, weil er so unvorsichtig war. Einen Moment lang vernahm er kein Geräusch außer dem Pochen seines Blutes in den Schläfen.
Nuella legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter.
»Es wäre nicht einfach zu erklären, wieso du und Kisk plötzlich aus unserem Dielenschrank zum Vorschein kämt«, meinte sie und unterdrückte ein Kichern. Nachdem sie eine Weile angestrengt gehorcht hatte, verkündete sie: »Die Luft ist rein.«
Langsam öffnete Kindan die Pforte, und dann befanden sie sich in dem dunklen, geräumigen Schrank. Danach drückte er die Schranktür ein Stück weit auf, spähte durch den Spalt und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe herumlungerte. Als er niemanden entdeckte, schlüpfte er nach draußen und gab Kisk das Zeichen, ihm zu folgen. Als Letzte verließ Nuella den Schrank und schloss die Tür hinter sich.
»Ich begleite dich nach unten bis an die Küchentür«, erklärte sie.
»Ist es hier zu hell für dich, Kisk?«, fragte Kindan besorgt und überlegte sich, ob er die Augen des Wachwhers mit den Händen gegen das Licht abschirmen sollte.
Nuella ging noch einmal an den Schrank und holte etwas heraus. »Wie wäre es damit, um ihr die Augen zu verbinden?«, schlug sie vor und reichte Kindan ein großes Schultertuch.
Kindan, der Kisk aufmerksam beobachtete, schüttelte den Kopf. »Es scheint auch so zu gehen. Leuchtkörbe spenden nicht so viel Licht, um einen Wachwher ernsthaft zu stören.«
»Ich nehme das Tuch trotzdem mit«, sagte Nuella.
»Draußen könnte es sehr kalt sein.«
Doch das Tuch benötigten sie bereits, ehe sie das Haus verließen. In der Küche scheute Kisk vor dem offenen Kamin zurück, in dem ein gewaltiges Feuer lo-derte, und aus ihrer Kehle tönten angstvolle Geräusche.
Kindan entriss Nella das Tuch und schützte damit Kisks Augen. Sofort beruhigte sie sich und bedankte sich bei dem Jungen mit einer raschen Folge von melodischen Tönen.
»In einer richtigen Burg hätten wir dieses Abenteuer niemals unternehmen können«, sagte Kindan. »Dort wären wir unweigerlich von einem Wachposten aufgehalten worden.«
»Nun ja, noch ist dies ein Privathaus und keine offizielle Festung«, erwiderte Nuella. »Und Milla begibt sich nur in die Küche, um Kohle auf das Feuer zu legen, wenn es ihr zu kalt wird oder sie befürchtet, es könnte ausgehen.«
Als sie nach draußen in die kühle Nachtluft traten, kam es Kindan vor, als sei er aus einem Traum erwacht.
»Vielen Dank«, sagte er zu Nuella, die in der Tür stehen geblieben war. »Kisk und ich gehen jetzt in den Schuppen zurück.«
»Da seid ihr gut aufgehoben«, versetzte sie lächelnd.
Schüchtern fügte sie hinzu: »Hättest du Lust, den Ausflug morgen Nacht zu wiederholen?«
»Ich weiß nicht, ob ich es einrichten kann«, gab er zu bedenken. »Für morgen rechnen wir mit M'tals Besuch.«
»Was glaubst du, ob ich ihn wohl kennen lernen dürfte?«, erkundigte sich Nuella.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Kindan zögernd. »Was würde dein Vater dazu sagen?«
Mit einer Handbewegung wischte Nuella diesen Einwand beiseite. »Offen gestanden, ist es mir einerlei. Der Weyrführer von Benden wird mich ja nicht verraten, oder?«
Kindan zweifelte, ob es eine gute Idee sei, Nuella mit dem Weyrführer zusammen zu bringen. »Meister Zist pflegt zu sagen, dass ein Geheimnis nur dann sicher ist, wenn möglichst wenige Leute davon wissen. Je mehr eingeweiht sind, umso wahrscheinlicher wird es, dass es kein Geheimnis bleibt.«
»>Lügen haben kurze Beine<«, dozierte Nuella. »Das ist ein Lieblingsspruch meiner Mutter. Sie meint, Geheimnisse drängen danach, ans Licht zu kommen.«
»Das klingt plausibel. Wir sollten uns morgen weiter unterhalten.«
»Von mir aus gern«, sagte Nuella. Aber am Klang ihrer Stimme merkte er, dass sie damit rechnete, enttäuscht zu werden.
Als Kindan sich später schlafen legte, fragte er sich, was für Nuella die größere Enttäuschung wäre, was ihr den meisten Kummer bereiten würde - wenn sie den Drachenreiter nicht kennen lernte, oder wenn er nicht noch einmal mit ihr in die Mine ginge.
Während er über dieses Problem nachgrübelte, fiel ihm ein, dass Nuella nur selten
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