Drachenwege
Gespräch an, und er war ganz und gar nicht überrascht, welche Wende es nahm.
*
Im Verlauf der nächsten Tage führten Nuella und
J'lantir unzählige Diskussionen darüber, wie man einen Wachwher trainieren sollte. Es ging darum, ein Voka-bular zu erstellen, damit der Wher-Führer mit seinem Schützling richtig kommunizieren konnte. Kisk musste zum Beispiel lernen, einem Drachen korrekt Meldung zu erstatten, damit er wusste, wer sie war und an welchem Ort sie sich gerade befand. Begriffe wie »Notfall«, »Feuer«, »Hilfe«, »Heiler«, und »Überschwemmung«
mussten in eine Sprache
umgesetzt werden, die einem Drachen sowie einem
Wachwher verständlich war. Eine Weile debattierten das Mädchen und der Drachenreiter, ob es wichtiger sei, dass Kisk die Vokabel »Lawine« lernte oder mit Zahlen umgehen konnte.
Kindan kam sich beinahe überflüssig vor, wenn die
beiden die Köpfe zusammensteckten und eifrig argu—
mentierten, sich stritten, dann einigten und zum nächsten Thema überwechselten. Manchmal unterbrachen sie ihr Gespräch und baten Kindan, mit Kisk einen Test durchzuführen. Am unangenehmsten war es ihm jedoch, wenn sie ihn aufforderten, zu einem bestimmten Punkt seine eigene Meinung beizusteuern und ihren Streit zu schlichten. Doch Kindan war von Meister Zist in der hohen Kunst der Diplomatie unterwiesen worden und verstand es, sich geschickt vor einer endgültigen Antwort zu drücken.
Nach den Debatten endete der Abend oftmals damit,
dass Nuella sich zu Kisk ins Stroh legte und einschlief.
J'lantir verabschiedete sich, ehe der Hahn zum ersten Mal krähte, und Kindan konnte vor Müdigkeit nicht mehr klar denken.
Am Ende der dritten Sitzung verkündete J'lantir, dass er eine Zeit lang in seinem Weyr bleiben müsste. Er wollte seinem Weyrführer Bericht erstatten, sich um die Ausbildung seines Geschwaders kümmern und eine Ruhepause einlegen. Nuella machte ein so enttäuschtes Gesicht, dass J'lantir sie tröstend an sich drückte.
»Sei nicht traurig, ich bin bald zurück«, versprach er.
Kindan dachte sich, Nuella sei enttäuscht, weil ihr die Arbeit mit Kisk und J'lantir viel Freude bereitete. Bis zur Rückkehr des Drachenreiters würde sie sich gewiss langweilen und womöglich eine schlechte Laune an den Tag legen.
»J'lantir«, sagte Kindan beim Abschied, »hältst du es für möglich, dass Kisk lernen könnte, genau wie ein Drache ins Dazwischen zu gehen?« Mit dieser Frage beschäftigte er sich bereits seit geraumer Zeit.
»Hmm«, biummte J'lantir versonnen. »Feuerechsen
sind dazu imstande. Eigentlich spricht nichts dagegen, dass auch ein Wachwher ins Dazwischen eintauchen kann.«
»So einfach ist das nicht«, meldete sich Nuella in schläfrigem Ton. Kindan erschrak. Er hatte angenommen, das Mädchen würde fest schlummern und könnte sie nicht hören. »Um genauso zu agieren wie ein
Drache, müsste ein Wachwher seinen Bestimmungsort
sehen. Aber diese Tiere nehmen die Umwelt nicht in konkreten Bildern wahr, so wie wir oder die Drachen, sondern sie orientieren sich nach allem, was Wärme abstrahlt.«
Kindan riss verblüfft die Augen auf.
»Ich verstehe, was sie meint«, klärte JTantir ihn auf.
»Ein Drachenreiter stellt sich in Gedanken das Ziel vor, zu dem er gelangen möchte, und überträgt dieses Bild an seinen Drachen. Es ist eine visuelle Botschaft. Aber um einem Wachwher eine präzise Ortsbeschreibung mitteilen zu können, müsste sein Wher-Führer gleichfalls Hitzestrahlen >sehen<.«
»Und kein Mensch nimmt Hitze mit den Augen
wahr«, seufzte Kindan. »Man fühlt sie nur über die Haut.«
»Ich kann Wärme sehen«, murmelte Nuella kaum
hörbar, die Wange dicht an Kisks Hals geschmiegt.
»Warum wolltest du wissen, ob ein Wachwher ins
Dazwischen springen kann?«, erkundigte sich JTantir.
»Nun, wenn das möglich wäre, dann könnten sie sich an Orte begeben, die von der Außenwelt abgeschnitten sind. Sie wären ideal dazu geeignet, Kumpel zu bergen, die in einem Stollen verschüttet wurden.«
»Eine sehr gute Idee«, lobte J'lantir den Jungen. »Nur wird sie sich leider nicht in die Tat umsetzen lassen.«
»Wirklich, eine tolle Idee«, flüsterte Nuella im Halb-schlaf. Sie gähnte, rollte sich auf die andere Seite und kehrte Kindan und J'lantir den Rücken zu.
»Zu schade«, sagte Kindan und schickte sich an, sein Ruhelager im Stroh aufzusuchen.
J'lantir streckte den Arm aus und zerstrubbelte
freundschaftlich Kindans ohnehin schon zerzausten
Schopf. »Aber
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