Drachenwege
überzeugte sich davon, dass sie ihm den Rücken zukehrte, während er sich ein Versteck suchte, und er schärfte ihr ein, dass sie versuchen sollte, nicht auf Geräusche zu achten. Obschon er sich keinen falschen Hoffnungen hingab - natürlich würde der Wachwher die Ohren spitzen. Im Verlauf des Spiels griff Kindan dann zu einer List, um den Wher abzulenken. Er warf kleine Steinchen in unterschiedliche Richtungen, um Kisks Gehör zu täuschen.
Der Haken an der Geschichte bestand darin, dass er Kisk zurufen musste, wann sie anfangen durfte, nach ihm zu suchen; selbst wenn er völlig mit Stroh bedeckt war, verriet seine Stimme ja ungefähr sein Versteck.
Nach einigen Experimenten kam er auf eine Idee. Den letzten Stein würde er gegen den Vorhang werfen, der die Tür bedeckte. Wenn Kisk den dumpfen Aufprall hörte, war das für sie das Signal, mit der Suche zu beginnen.
Von da an wurde das Spiel interessant, und Kisk
brauchte länger, um den Jungen zu finden.
Dann fiel dem Jungen eine weitere Variante ein:
Nachdem er den letzten Stein gegen den Vorhang geworfen hatte, kniff er die Augen fest zusammen und atmete nur noch ganz flach. Er leerte seinen Kopf von allen Gedanken und konzentrierte sich darauf, sich im Geist einen völlig lichtlosen, schwarzen Ort vorzustellen.
Wie er so dalag, übermüdet und abgekämpft, nickte
er ein.
Doch kurz vor dem Einschlafen war ihm, als sähe er etwas - eine zusammengerollte Gestalt, die eine Position einnahm wie er, von der ein sanftes Glühen ausging.
Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass er sich selbst unter dem Stroh liegen sah.
Er hörte das leise Tappen von Kisks Tatzen, als sie sich ihm näherte. Ein Bild schlich sich in seine Gedanken, und er gewahrte den Wachwher, wie er langsam zu ihm aufrückte. Der Kopf nahm Konturen an - aber es war nicht Kisks Antlitz, das er sah, sondern ein an den Rändern verschwommenes Oval, welches in allen Regenbogenfarben schillerte. Das Oval verdunkelte sich, als grelle, orangegelbe Flammenbündel hervor-schossen und das mattere Licht des Kopfes über—trumpften. Durch das Stroh fühlte er, wie Kisks warmer Atem über seine Wangen strich, und in seinem Kopf entstand die Vorstellung von einem wohligen Feuer.
Kisk zwitscherte und trällerte vor Glück.
Lachend öffnete Kindan die Augen, schnellte aus
seinem Versteck im Stroh hervor und schlang die Arme um ihren Hals. »Du hast mich gefunden!«, sagte er freudig. Fest drückte er das Tier an sich. »Du bist ein großartiges Mädchen!«
*
»Beschreib mir das Ganze noch mal«, forderte Nuella ihn am nächsten Abend auf. »Schildere genau, was du sahst.«
»Es lässt sich nur schwer beschreiben«, erwiderte
Kindan. »Alles hatte die Farben eines Feuers angenommen, gelb und orange wie Flammen.«
»Was hat das zu bedeuten?«
Kindan schürzte die Lippen und dachte angestrengt
nach. »Hast du jemals in ein grelles, gleißendes Licht geschaut... als du noch klein warst, meine ich.«
»Gib mir ein Beispiel«, bat Nuella und zog eine Grimasse.
»Na ja, im Sommer, zur Mittagsstunde, scheint die
Sonne mit einem sehr hellen Licht, dass einem die Augen schmerzen, wenn man zu lange hinein sieht. Ein großes, loderndes Feuer kann einen Menschen ebenfalls blenden.«
Sie zuckte die Achseln. »Schön möglich. Ich erinnere mich nicht mehr.«
»Manchmal, wenn ich ein Weilchen zur Sonne hi—
naufblickte oder längere Zeit ein Feuer betrachtete und danach die Augen schloss, sah ich immer noch die Bilder. Anfangs waren sie strahlend weiß, dann nahmen sie immer kältere Farben an ... gelb, orange, rot, grün, blau ... bis die Vision verschwand.«
»Sprich weiter.«
»Also, bei meinem Erlebnis mit Kisk war es ähnlich.
Aber die Farben waren in einem Oval angeordnet. Das Zentrum war weiß, und umgeben wurde es von farbigen Ringen, die von gelb bis hin zu blau reichten.«
Nuella setzte eine gespannte Miene auf. »Was denkst du, Kindan - ob ich wohl auch diese Bilder wahrnehmen könnte? Offenbar hast du in diesem Moment durch Kisks Augen gesehen, sie hat ihre Sinneswahrnehmung auf dich übertragen.«
»Es wäre einen Versuch wert«, meinte er. »Was
hältst du von der Sache, Kisk? Kannst du Nuella zeigen, was du sahst, als du mich unter dem Stroh gefunden hast?«
Kisks Kopf pendelte hin und her, wobei sie erst den Jungen, dann das Mädchen ins Auge fasste. Dann tschilpte sie vergnügt, und dieser Laut klang wie eine Zustimmung.
»Es geht also?«, sagte Nuella staunend. Sie
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