Drachenwege
Stützbalken. Nach vierzehn Schritten - alle zehn Meter sollte die Firste vorschriftsmäßig gesichert werden -
wurde er unruhig. Beim einundzwanzigsten Schritt
wuchs seine Besorgnis.
»Fühlst du hier irgendwelche Ausbauten?«, fragte er Nuella, die neben ihm ging.
»Nein«, erwiderte sie alarmiert. »Sollen wir
umkehren und mit der Prüfung noch einmal von Anfang anfangen?«
Am liebsten hätte sich Kindan das Tuch von den Augen gerissen, doch er unterließ es, da er Nuellas scharfes Gehör fürchtete. Sie würde es sofort merken, wenn er die Binde abnahm - das leise Rascheln des Stoffs musste ihn notgedrungen verraten.
»Ja«, pflichtete er ihr bei und ließ die bereits erhobenen Hände sinken.
Nuella kicherte. »Du standest kurz davor, die Binde abzunehmen, nicht wahr?«
Als Antwort stieß Kindan einen Seufzer aus. Er zähl-te die Schritte zum Stolleneingang, drehte sich um und ging den Weg noch einmal zurück, wobei er sorgfältig nach Stützbalken forschte. Nach neun Metern blieb er stehen.
»Hier fühle ich etwas, aber es ist kein korrekter
Ausbau«, erklärte er. Der Stempel war viel zu dünn, und als er die Arme nach oben reckte und die Firste abtastete, fühlte er lediglich einen schmalen Holzbalken.
Auch Nuella inspizierte den Ausbau. »Das Holz ist
nicht dick genug«, stellte sie fest.
»Die Balken müssten mindestens doppelt, wenn nicht gar dreimal so dick sein.«
Im Weitergehen entdeckten sie, dass die gesamte
Strecke nur unzulänglich gesichert war. Kindans Besorgnis wuchs mit jedem Meter, den sie zurücklegten.
Von diesem Tunnel zweigten viele Seitenstollen ab, mehr als üblich.
»Es ist beinahe so, als hätte Tarik angefangen, auf eigene Faust Strebe zu graben, um die Kohle schneller abbauen zu können«, mutmaßte er. Aus Gesprächen der Kumpel wusste er, dass man mit diesen Maßnahmen am hintersten Ende der Strecke beginnen wollte, weit entfernt vom Ausgangsschacht. Denn wenn durch eine zu starke Aushöhlung des Flözes das Hangende einstürzte, wären die Bergleute nicht von den Förderkörben abgeschnitten, und etwaige Rettungstrupps hätten freien Zugang zur Mine. »Das finde ich gar nicht gut«, meinte er besorgt.
»Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Vater nichts von diesen vielen Seitenstollen weiß«, sagte Nuella. »So etwas würde er nie genehmigen.«
Mit wachsender Nervosität erforschten sie die
Strecke. Nuella erhob keine Einwände, als Kindan
vorschlug, bei ihrem nächsten Ausflug in die Grube die erste Sohle zu inspizieren.
Ständig arbeitete Kindan daran, Kisk für die Rettung und Bergung von verunglückten Kumpeln zu trainieren.
Er nutzte jede Gelegenheit, die Fähigkeiten seines Wachwhers zu testen oder ihm etwas Neues beizubringen.
Doch als er sagte, er wollte prüfen, wie Kisk einen verschütteten Menschen wieder ausgrub, protestierte Nuella.
»Ich will mich doch nur mit etwas Kohle bedecken
und Kisk dazu veranlassen, dass sie mich freibuddelt«, erklärte er, nachdem sie sich vehement geweigert hatte, dieses Experiment zuzulassen.
»Und was ist, wenn Kisk sich dabei verletzt?«, wand-te sie ein. »Was machen wir dann?« Kindan führte ein Argument nach dem anderen an, doch Nuella gab nicht nach. Zu seiner Überraschung wurde sie in ihrer ablehnenden Haltung von Kisk unterstützt; Kindan hatte erwartet, der Wachwher würde sich ohne Murren fügen.
»Also gut, ihr beiden Mädels habt gewonnen. Zwei
gegen einen, das ist ungerecht«, warf er das Handtuch, und für seinen Kommentar erntete er von Nuella einen halbherzigen Hieb mit der Faust. »Es geht nicht darum, gegen dich Partei zu ergreifen, sondern Kisk und ich handeln bloß verantwortungsvoll«, fauchte sie. Mit einem Seufzer fügte sie hinzu: »Wenn du so erpicht darauf bist, diesen Test durchzuführen, dann mach doch einen Versuch im Schuppen. Falls alles klappt, kannst du mit Kisk später immer noch unter Tage experimentieren.«
Zögernd pflichtete Kindan ihr bei.
*
Nachdem Kindan und Kisk Nuella zu ihrem Zimmer
in der zweiten Etage begleitet hatten, gingen sie in den Schuppen zurück. Kisk war immer noch zum Spielen aufgelegt. Kindan fühlte sich erschöpft, doch ihm war klar, dass er das nachtaktive Tier beschäftigten musste.
Also entschloss er sich, mit Kisk eine abgewandelte Form von Verstecken zu spielen. Er verbarg sich unter dem Stroh, lag ganz still da, wobei er um ein Haar eindöste, und Kisk stöberte nach ihm.
Natürlich fand sie den Jungen immer sehr schnell.
Kindan
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