Drachenwege
womöglich noch mit einem Kohlenkarren zusammenzustoßen.«
Nuella schwang ihr Bein über Lolanths Hals und glitt nach unten, wo J'lantir sie mit ausgebreiteten Armen in Empfang nahm. Mittlerweile genoss sie das Gefühl, sich einfach fallen zu lassen, mit der Gewissheit, jemand würde sie auffangen. J'lantir wirbelte sie einmal herum, dann stellte er sie behutsam auf die Füße.
»Jetzt bist du wieder daheim - gesund und munter«, verkündete er vergnügt. In fragendem Ton fügte er hinzu: »Allerdings vermisse ich das Empfangskomitee.«
Nuella hob die Nase in die Wind und schnupperte,
weil sie hoffte, irgendwelche Ankömmlinge zu wittern, ehe J'lantir sie sah. Sie spitzte die Ohren, sog die nächtlichen Geräusche in sich auf und durchforschte sie nach sich nähernden Schritten. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus, als sie die erhofften Laute vernahm - zwei Personen kamen auf sie zu.
Wenig später traten sie in JTantirs Gesichtskreis, denn er rief: »Na endlich, da kommt jemand, um dich zu begrüßen, Nuella. Ich hatte zwar mit mehr Leuten
gerechnet, aber immerhin ist es ziemlich spät.«
»Das ist nicht der Grund«, widersprach Nuella, der ein kalter Schauer über den Rücken lief. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
»Nuella?«, rief Zenor in die Nacht hinein.
Nuella fiel ein Stein vom Herzen, und sie atmete tief durch. »Zenor, was ist los? Wo bleiben Kindan und Kisk?« In Gedanken versuchte sie, mit ihrem liebsten Wachwher Verbindung aufzunehmen, doch sie spürte nichts als eine schwarze Traurigkeit und Leere. »Was ist passiert?«
»Es hat ein Unglück gegeben«, erklärte Renna, die
das letzte Stück des Weges rannte, um zu ihrem Bruder zu gelangen.
»Und alles war nur meine Schuld!«, jammerte Zenor
mit tränenerstickter Stimme.
»Ein Stollen ist eingestürzt!«, klärte Renna sie auf.
»Kindan? Und Kisk? Sind sie betroffen?«, fragte
Nuella angstvoll.
»Die beiden befinden sich in Kisks Stall«, beruhigte sie Renna. »Kindan wollte zu Hilfe eilen, aber Tarik hat es ihm verboten. Als Kindan sich widersetzte und trotzdem versuchte, in die Grube zu gelange, schlug Tarik ihn nieder.«
»Tarik hat ihm nicht erlaubt, den eingeschlossenen Kumpeln zu helfen?«, hauchte Nuella fassungslos.
»Tarik ist kein richtiger Bergmann«, schimpfte Zenor. »Ich sah mit eigenen Augen, wie nachlässig er einen Stollen abstützen ließ und meldete Natalon die Schlamperei. Dein Vater fuhr selbst ein, um sich ein Bild aus erster Hand zu verschaffen. Er war außer sich vor Wut, als er sah, was Tarik auf der zweiten Sohle an-gerichtet hat. Danach tauschte er mit Tarik die Schicht.«
Er holte tief Luft und dann sprudelte die Hiobsbotschaft aus ihm heraus. »Ich glaube, die Kumpel waren dabei, die Ausbauten zu verstärken, als der Stollen einbrach.«
»Mein Vater wurde verschüttet?«, schrie Nuella.
»Ja. Dalor auch - die gesamte Mannschaft«, heulte
Renna unter Tränen los.
»Tarik behauptet«, sagte Zenor, »der Einbruch sei zu gewaltig, um die eingeschlossenen Männer Ausgraben zu können.«
»Toldur versuchte es dennoch«, fügte Renna hinzu.
»Aber sie kamen nur ein paar Meter weit. Toldur meint, dass die Firste auf mindestens zehn Metern eingestürzt ist. Es würde Wochen dauern, um die Verschütteten zu bergen.«
»Nachdem Kindan versuchte, gewaltsam in den Tunnel einzudringen, lässt Tarik den Eingang zu diesem Schacht von ein paar seiner Spießgesellen bewachen«, berichtete Zenor. »Zur Zeit bedient lediglich eine Mannschaft die Pumpen, um die Baue mit Frischluft zu versorgen.«
Nuella hatte genug gehört. Sie hetzte los, in Richtung des Camps.
»Nuella!«, rief J'lantir ihr hinterher. »Was hast du vor?«
»Ich muss zu Kindan!«, rief sie über die Schulter zu-rück. »Ich will meinen Vater retten!«
*
Mit einem Ruck erwachte Kindan, als jemand ihn unsanft rüttelte. Er hatte wach bleiben wollen, doch er war eingenickt. Die Ereignisse des Tages hatten ihn zu sehr mitgenommen. Er fühlte sich wie zerschlagen. Eine weiche Hand legte sich auf seine Stirn und zuckte zurück, als sie die riesige Beule und das halb ange-trocknete Blut ertastete.
»Er hat sehr fest zugeschlagen nicht wahr«, meinte Nuella, als Kindan sich aufrichtete. »Kannst du laufen?«
»Nuella ...« Benommen suchte der Junge nach Worten.
Nuella legte ihm die Hand auf die Lippen. »Du
brauchst mir nichts zu erklären. Zenor hat mir bereits alles gesagt.«
»Ich habe alles versucht, Nuella«,
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