Drachenwege
beteuerte Kindan, während ihm Tränen über das Gesicht liefen. »Kisk und ich haben uns solche Mühe gegeben.«
»Ich weiß«, tröstete sie ihn, und ihre Kehle schnürte sich schmerzhaft zusammen. »Ich weiß.« Heiße Tränen rannen nun auch ihr die Wangen hinunter. Sie umarmte Kindan, drückte ihn an sich, und eine Zeit lang gaben sich beide ihrem Kummer hin. Nach einer Weile spürte Nuella, wie der Druck von ihrem Herzen wich, und sie rückte ein Stück von Kindan ab. »Ob du es noch einmal versuchen könntest?«, schlug sie vor.
Der Vorhang an der Tür raschelte, und jemand betrat den Schuppen.
»Ich habe eine Spitzhacke besorgt.« Es war Cristov.
»Cristov?«, fragte Nuella. Sie kniff die Lippen
zusammen. »Du kannst uns nicht aufhalten.«
»Nuella ...«, setzte Kindan an.
»Ich habe nicht die Absicht, euch aufzuhalten«, gab Cristov mit grimmigem Lächeln zurück. »Im Gegenteil, ich will euch helfen.«
Nuella schnappte verblüfft nach Luft.
»Ich gebe erst auf, wenn wir sie aus dem Stollen geborgen haben«, betonte Cristov leidenschaftlich. »Lebend oder tot.« Er sah Kindan an. »Das habe ich von deinem Vater gelernt. Ein Kumpel lässt seine Kameraden niemals im Stich.« Bekümmert fügte er hinzu: »Aber ich habe keine Ahnung, wie wir an den Wachposten vorbeikommen sollen.«
»Ich weiß, was mir unternehmen können, um unge—
sehen in die Grube zu gelangen!« Nuella sprang auf die Füße. Auch Kindan rappelte sich mit weichen Knien hoch. Kisk regt sich, ließ einen energischen Schrei ertö-
nen und ruderte mit den Stummelflügeln.
*
Vor dem Schuppen trafen sie Zenor und Renna.
Kindan weihte Zenor in die Situation ein und erklärte ihm hastig, dass Cristov ihnen helfen wollte. Dann schlugen sie den Weg zu Natalons Burg ein.
»Wohin gehen wir?«, fragte Cristov verwirrt. »Dieser Pfad führt doch zum Haus des Steigers.«
»Genau«, bestätigte Nuella. »Sag mal, bist du jemals durch die Festung gestreift, als du noch dort wohntest?«
»Ja, sicher«, gab Cristov zurück.
»Hast du mal in den Schrank geschaut, der sich am
Treppenabsatz der zweiten Etage befindet?«, wollte Kindan wissen.
»Aha!« Cristov schien ein Licht aufzugehen. »Dachte ich es mir doch, dass es einen geheimen Eingang zur Mine geben müsste. Aber ich wäre nie darauf gekommen, dass er durch den Schrank verdeckt wird!«
Kindan weidete sich an Cristovs verdutzter Miene,
als sie das Haus erreichten und die Treppen hinauf stürmten. Doch als sie in der zweiten Etage anlangten, klappte ihm selbst vor Verblüffung die Kinnlade herunter.
»Toldur!«
Der hünenhafte Bergmann deutete ein Lächeln an.
»Ihr kommt aber spät«, erklärte er und schulterte seine Axt. »Ich dachte schon, ich müsste euch holen.«
Mit einem Kopfnicken wies er auf Kindan. »Du bist
aus demselben Holz geschnitzt wie dein Vater. Ich
wusste, dass du nicht aufgeben würdest.« Als er Nuella gewahrte, runzelte er verwirrt die Stirn; seine Verwunderung wuchs, als Renna auf dem Treppenabsatz ankam. »Dieses Mädchen hier ist Natalons Tochter, Nuella«, erklärte Zenor und trat selbstsicher einen Schritt nach vorn. »Sie möchte helfen, ihren Vater zu retten.«
»Ich mache ebenfalls mit«, fügte Renna in einem Ton hinzu, der keinen Widerspruch duldete.
»Wenn wir durch diese Tür gehen, finden wir genug
Grubenhelme für uns alle«, verkündete Nuella und
zeigte mit dem Finger auf den Schrank.
Der groß gewachsene Bergmann grinste. »Dachtest
du, das wüsste ich nicht? Schließlich bin ich derjenige, der ständig prüft, ob die Helme noch an ihrem Platz sind. Aus diesem Grund weiß ich auch, dass du häufig diesen Geheimgang benutzt. Aber wegen deiner blon-den Haare hielt ich dich für Dalor.«
»Dalor ist mein Bruder«, klärte Nuella ihn auf.
»Können wir jetzt endlich aufbrechen?«, drängte
Renna.
Toldur nickte. »Ich hole nur rasch ein paar Leuchtkörbe.«
»Keine Zeit«, winkte Nuella brüsk ab. »Ich führe
euch zur Mine. Verlasst euch darauf, dass ich jeden Quadratzentimeter dieses Geheimgangs kenne, selbst wenn es dort so dunkel ist, dass man die Hand nicht vor den Augen sehen kann.«
»Du kannst deine eigene Hand doch so und so nicht
sehen«, murmelte Zenor.
Nuellas Hand schoss vor, und sie verpasste Zenor
eine schallende Ohrfeige.
»Ich mag sie zwar nicht sehen, aber ich weiß sie
trotzdem zu gebrauchen«, sagte sie zuckersüß zu ihm.
Dann betrat sie den Schrank und öffnete die Pforte, hinter der der geheime Zugang
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