Drachenwege
kümmern, damit Kindan dem Harfner helfen konnte. Und Zenor wiederum würde Nuella in den Stall schmuggeln.
»Kisk braucht aber Bewegung«, warnte Kindan vor—
sorglich das Mädchen.
Nuella hatte abgewinkt. »Nicht mit mir. Ich habe
nicht die Absicht, den Stall zu verlassen und mit Kisk draußen herumzuspazieren. Das kannst du übernehmen, wenn du zurückkommst.«
»Und wie wirst du nach Hause finden?«, hatte Kindan gefragt.
»Ganz einfach. Du und Kisk, ihr begleitet mich
heim«, hatte das Mädchen erwidert. »Vermutlich ist es dann so spät geworden, dass jeder, den wir zufällig draußen treffen sollten, vor Müdigkeit gar nicht mehr aus den Augen gucken kann. Und die meisten Leute werden zu der Zeit ohnehin in ihren Betten liegen.«
Kindan nickte. »Du hast sicher Recht. Danke, dass du auf Kisk aufpasst, Nuella. Das weiß ich zu schätzen.«
Nuella hatte strahlend gelächelt. »Du schuldest mir was. Und ich habe keine Hemmungen, dich gegebenenfalls daran zu erinnern.«
»Und ich sorge dafür, dass Zenor keine Schwierigkeiten bekommt«, sagte Kindan zum Schluss.
»In dieser Hinsicht verlasse ich mich voll und ganz auf dich«, lautete Nuellas Antwort, ehe sie ihn energisch zur Tür bugsierte.
»Du hast Glück, dass sie nicht ängstlich ist und kein Risiko scheut«, hatte Meister Zist später gesagt. »Genieße den heutigen Abend, mein Junge, denn vielleicht ist es das letzte Mal, das wir beide zusammen auf einem Fest musizieren.«
»Wie meinst du das?«, hatte Kindan daraufhin entgeistert gefragt.
»Denk doch mal nach«, erklärte der Harfner. »Dein
Wachwher wird immer größer. Bald ist Kisk alt genug, um mit ihrer Ausbildung zu beginnen. Und später wird sie in der Zeche unter Tage eingesetzt. Das Training und die Arbeit eines Wachwhers finden bei Nacht statt. Und ehe die Schneeschmelze einsetzt, werden tagsüber keine Feste gefeiert. Nicht mehr lange, und du befindest dich im Arbeitseinsatz wie ein Erwachsener. Für Spaß und Spiel bleibt da nicht viel Zeit, mein Junge.«
Kindan hatte dagestanden wie vom Donner gerührt.
Ihm war bewusst gewesen, dass er nicht mehr Meister Zists Lehrling sein konnte, als er sich dafür entschied, ein Wher-Führer zu werden. Doch er war davon ausgegangen, dass er nach wie vor zusammen mit dem Harfner musizieren würde. Meister Zist hatte gemerkt, wie sehr Kindan darunter litt, seine musikalischen Darbietungen vernachlässigen oder gar gänzlich aufgeben zu müssen, und er bemühte sich nach Kräften, den Jungen aufzuheitern. Er verwöhnte ihn mit den ausgesuchtesten Leckerbissen und wies immer wieder darauf hin, wie wichtig der Wachwher für die Sicherheit der Kumpel sei. Gewiss, Kindan brachte ein großes Opfer, aber es lohnte sich, weil die Gemeinschaft davon profitierte.
Als Kindan nach dem Fest in Kisks Schuppen zurückkehrte, befand er sich in gedrückter Stimmung. Der Wachwher und Nuella lagen dicht aneinander-geschmiegt im Stroh und schliefen. Er weckte Nuella, und Kisk räkelte sich genüßlich, in Erwartung einer langen, mit interessanten Aktivitäten ausgefüllten Nacht.
»Was fehlt dir, Kindan? Ich merke doch, dass du
traurig bist«, fragte Nuella, als sie sich unterwegs zu ihrem Elternhaus befanden. Kindan erzählte ihr, was ihm auf dem Herzen lag. »Aber es geht nicht anders, Kindan«, hielt sie ihm vernünftigerweise entgegen. »Die Leute von der Nachtschicht können nur an einem Fest teilnehmen, wenn es auf einen Ruhetag fällt. Du kannst nicht gleichzeitig im Pütt und auf einer Feier sein.«
»Ich weiß«, seufzte er. Er sah Kisk an, in deren gro-
ßen Augen grüne und blaue Schlieren wirbelten, die von der inneren Zufriedenheit des Wachwhers kündeten.
»Aber ich singe und musiziere nun mal für mein Leben gern.«
»Solange du im Stimmbruch bist, taugst du ohnehin
nichts als Sänger«, stutzte sie ihn zurecht. Kindan quittierte diese Bemerkung mit einem mürrischen Brummen.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
Um der peinlichen Stille ein Ende zu bereiten, wechselte Nuella das Thema. »Weißt du eigentlich, dass der neue Schacht ganz in der Nähe von Vaters Geheimgang liegt?«
»Was für einem Geheimgang?«, fragte Kindan verdutzt.
»Nun ja, es gibt einen versteckten Tunnel, den ich häufig benutze. Erinnerst du dich noch an den Tag, als Meister Zist bei uns eintraf? Ich führte ihn durch diesen Geheimgang von der Mine ins Camp, und deshalb war er noch vor dir wieder zurück, obwohl du viel früher losranntest.« Sie
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