Drachenwege
fragte Kindan. Kisk blickte zu ihm auf, zwinkerte mit den großen Augen und antwortete mit einem Zwitschern, das der Junge nicht zu deuten vermochte.
»Was auch immer«, seufzte er. Jählings schwenkte
Kisk den Kopf zur Seite, und der unerwartete Zug an dem provisorischen Halfter hätte Kindan um ein Haar zu Fall gebracht.
»Dort hinten liegen die Hütten der Bergarbeiter, Kisk, da hast du nichts zu suchen«, erklärte Kindan. »Jetzt schlafen die Leute und möchten nicht gestört werden.
Außerdem gibt es dort nichts, was dich interessieren könnte.«
Aber Kisks Augenmerk galt nicht den Quartieren; sie starrte unentwegt zu dem Wald hin, der gleich hinter den Hütten begann. Im schaukelnden Wiegegang zockelte sie los, Kindan hinterdrein. Am Waldrand angekommen, beschnupperte sie die Vegetation, zupfte Blätter von den Büschen, zermalmte sie zwischen den Kiefern und spie den grünen Brei wieder aus. Kindan wusste, dass in der Gegend keine giftigen Pflanzen wuchsen, also brauchte er sich um Kisks Wohlergehen keine Sorgen zu machen. Von Kisks unersättlicher Neugier getrieben, landeten sie zu guter Letzt wieder auf dem Pfad, der zu Tariks Haus führte - Kindans ehemaliges Elternhaus.
»Bist du jetzt müde genug, um dich schlafen zu legen?«, fragte er leise und in beschwörendem Ton. Kisks schielte zu ihm hinauf und antwortete mit einem mun-teren Zirpen, das Kindans Hoffnung im Keim erstickte.
In forschem Tempo steuerte sie Tariks Haus an, und Kindan durchlebte eine Anwandlung von Panik; er befürchtete, Tarik könnte von den ungewohnten Geräuschen wach werden, wenn jemand um das Haus pirschte, und seinen ganzen aufgestauten Groll über seine ungebetenen nächtlichen Gäste entladen.
Vielleicht übertrug sich seine Angst auf den Wher, denn Kisk reagierte auf einmal, als hätte sie seine besorgten Gedanken gelesen; sie stieß einen fragenden Laut aus, beschnüffelte Kindans Hosenbeine, wandte sich dem Haus zu und schnaubte durch die Nase. Gleich darauf wandte sie ihre Aufmerksamkeit einem anderen Ziel zu. Irgendetwas hinter den Büschen weckte ihr Interesse. Sie strebte zu der Stelle hin und begann wütend zu fauchen.
Erst da merkte Kindan, dass sie nicht allein waren.
»Sie beißt doch nicht, oder?«, tönte eine ängstliche Stimme aus dem Gesträuch. Es war Cristov.
»Nach mir hat sie schon geschnappt«, versetzte Kindan gereizt. Er log, weil er Cristov Angst machen wollte. Kisk starrte Kindan mit glänzenden Augen an und schniefte leise. »Sie hat mein Blut geleckt, aber das musste sein, um sie auf mich zu prägen.«
Vorsichtig zwängte sich Cristov aus dem Gesträuch
hervor. »Ich finde, sie ist ziemlich klein. Hat sie scharfe Zähne?«
Kindan zeigte ihm seine bandagierte Hand. »Überzeug dich selbst.«
Cristov wehrte ab. »Nein, der Verband sollte besser nicht abgenommen werden. Die Wunde muss doch verheilen.«
»Wie du willst«, gab Kindan zurück. Während des
vergangenen Planetenumlaufs hatte er nur wenige
Worte mit Cristov gewechselt; in der Zeit davor waren sich die beiden Jungen nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen, um die auf Gegenseitigkeit beruhende Ver-achtung zu demonstrieren, oder sie hatten sich so lange geprügelt, bis sie von einem Erwachsenen oder größeren Knaben gewaltsam getrennt wurden. »Wieso treibst du dich draußen herum? Lauerst du vielleicht jemandem auf?«
Cristov ballte die Fäuste, und er funkelte Kindan
wütend an.
Dessen Sinn für Gerechtigkeit siegte, und er lenkte ein. »Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken. Aber im Ernst, wieso bist du nicht im Haus?«
»Ich ... na ja ...« Der sonst so zungenfertige Cristov wirkte verlegen. Offenbar fiel es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Schließlich platzte er heraus: »Meine Mutter sagt, Wachwhere seien schöne Tiere. Ich wollte nachsehen, ob das stimmt.«
Kindans Augen weiteten sich vor Verblüffung. Auch
Kisk gab einen verwunderten Ton von sich und reckte den Hals, um Cristov ins Gesicht spähen zu können.
Dabei musste sie den Schwanz in die Höhe strecken, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Kindan staunte, wie weit der Wher seinen sehnigen Hals vor-strecken konnte, der immer länger zu werden schien -
Kisks Kopf reichte fast bis an sein Kinn heran.
»Ich weiß, dass mein Vater diese Tiere nicht mag«, fuhr Cristov hastig fort und hielt dem Wachwher seine Hand hin, »aber meine Mutter meint, wir müssten sie respektieren. Außerdem sollte sich jeder seine eigene Meinung über sie
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