Drachenwege
Karren war über seinen Fuß gerollt.
»Eigentlich liegt die Schuld für die Anhäufung von Unfällen beim Obersteiger, nicht wahr?«, wandte sich Panit an ein kleines Grüppchen von besorgt dreinblickenden Bergleuten. Kindan erstarrte, als er diesen ungeheuerlichen Vorwurf hörte. »Vielleicht ist nicht der fehlende Wachwher für das Chaos
* Älterer Ausdruck für Bergmann -Anm. d. Übers.
** Vierrädriger Förderwagen im Bergbau - Anm. d. Übers verantwortlich, sondern der Leiter der Grube.«
Kindan lauschte gespannt auf die Antwort der Kumpel, doch dabei geriet er mit seinem Getrommel aus dem Takt. Mit einem furiosen Wirbel vertuschte er den Fehler, doch einige Leute hatten den veränderten Rhythmus bemerkt, und etliche Köpfe drehten sich in seine Richtung. Auch Panit starrte ihn an.
Plötzlich tauchte Meister Zist neben dem wie besessen trommelnden Jungen auf. »Wenn du schon Gespräche anderer Leute belauschen musst, dann benimm dich so diskret, dass es keinem auffällt«, flüsterte der Harfner ihm ins Ohr.
Kindan rang sich ein verlegenes Lächeln ab. »Es tut mir Leid«, murmelte er zurück.
Meister Zist nickte. Er hielt Kindan einen Becher Klah und einen Teller mit Leckereien entgegen und meinte: »Es wird höchste Zeit, dass du eine Pause einlegst.«
Es dauerte nicht mehr lange, und ein Gast nach dem anderen machte sich auf den Heimweg. Das Fest ging zu Ende. Kindan und Meister Zist verließen als Letzte den Saal. Ermüdet von einem anstrengenden Tag schleppten sie ihre Instrumente heimwärts.
Später konnte sich Kindan nicht mehr erinnern, wie er in jener Nacht in sein Bett gekommen war.
* * *
»Meister Zist! Meister Zist!« Noch vor Tagesanbruch wurde Kindan von Dalors Geschrei geweckt. Benommen rührte er sich, alarmiert von Dalors angstvoll klingender Stimme.
»Was gibt's?«, rief Meister Zist aus seinem Zimmer, als Kindan in die Küche stolperte.
»Es ist meine Mutter!«, keuchte Dalor mit kalkwei-
ßem Gesicht. »Das Baby kommt, aber es ist viel zu früh.«
Im Nachtgewand eilte der Harfner aus seinem Zimmer. Nach einem kurzen Blick auf Dalor wandte er sich resolut an Kindan. »Lauf rasch zu Margit und gib ihr Bescheid, dass sie bei der Geburt helfen muss.« Dann richtete er das Wort an Dalor. »Ich komme auch, sowie ich mich angezogen habe. Du läufst nach Hause zurück und setzt Wasser zum Kochen auf den Herd, falls es nicht schon jemand anders getan hat.« Mit sanfter Stimme fügte er hinzu: »Es wird schon alles gut gehen, Junge. Und nun beeil dich!«
Sowie Dalor aus der Hütte geflitzt war, sagte Kindan zu dem Harfner: »Margit taugt nicht viel als Hebamme.
Silstra half immer bei Geburten, und Harfner Jofri hat ihr assistiert.«
»Geselle Jofri wandte sich der Heilkunde zu, nachdem ich ihn aus meiner Gesangsklasse hinausgeworfen hatte«, erklärte Meister Zist. Er seufzte. »Ich hingegen widmete mich dem Singen, weil der Meisterheiler sich weigerte, mich weiterhin zu unterrichten.«
Kindan blickte bestürzt drein. Meister Zist wedelte mit beiden Händen. »Nun mach schon und lauf zu Margit. Was stehst du hier herum und hältst Maulaffen feil? Gemeinsam werden wir das Kind schon zur Welt bringen.«
Kindan drängte Margit, sie möge sich sputen, doch die Frau dachte nicht daran, sich von ihm hetzen zu lassen. Als sie endlich bei Jenella ankamen, stand Milla Hände ringend in der Tür zum Kreißzimmer und jammerte immerzu: »Das Kind kommt zu früh. Viel zu früh!«
»Blödsinn, das stimmt doch gar nicht!«, widersprach Margit in nüchternem Ton. »Jenella ist im achten Monat, und das Baby wird auf jeden Fall lebensfähig sein.«
Sie baute sich vor der hysterischen Bäckerin auf und drohte ihr: »Wenn du dich nicht besser beherrschen kannst, Milla, schicke ich dich zurück in deine Küche.«
Milla, die die ganze Aufregung um keinen Preis hätte missen mögen, zog pikiert die Nase hoch, hielt jedoch den Mund.
Kindan, der Margits Hebammentasche trug, folgte ihr in das Gebärzimmer. Natalon war da und hielt Jenellas Hand. Meister Zist hatte Decken und Laken so platziert, dass die Intimsphäre der Gebärenden gewahrt blieb, und bereitete sich darauf vor, das Baby mit den Händen aufzufangen.
Doch er hatte nicht mit Margit gerechnet, die völlig Herrin der Lage war. Ohne viel Federlesens schob sie den Harfner zur Seite und nahm eine Untersuchung vor.
Zufrieden wandte sie sich an Jenella. »Hab keine Angst, meine Liebe«, beruhigte sie die Frau. »Es werden keine
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