Drachenwege
es für die Familie nicht schon zu spät.«
»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«, röhrte Meister Zist mit seiner weit tragenden Stimme. Aus verschiedenen Richtungen eilten Menschen herbei. Kindan sah sich um. Rasche Hilfe tat not, wenn man die Bewohner der Festung retten wollte. Ohne lange nachzudenken schlüpfte er in die Diele.
»Kindan!«
»Es geht schon«, rief Kindan zurück. »Ich bin klein und brauche nicht so viel Luft wie ein Erwachsener.
Wenn ich in die obere Etage gehe, kann ich die Fenster öffnen und die Familie wecken.«
Je höher er die Treppe hinaufstieg, umso verpesteter war die Luft. Er duckte sich und sog ein paar tiefe Züge von der Luft ein, die noch vergleichsweise frisch war.
Dann hielt er den Atem an. Jetzt war er froh, dass Kaylek ihn häufig herausgefordert hatte, wer von ihnen am längsten den Atem anhalten konnte. Als er den ersten Treppenabsatz erreichte, brannten seine Augen. Mit bebenden Fingern öffnete er den störrischen Fensterriegel, und als er endlich das Fenster aufstoßen konnte, steckte er den Kopf nach draußen und schöpfte tief Atem.
Alsdann suchte er die Schlafzimmer.
Er riss die erstbeste Tür auf, sauste in den Raum und öffnete das Fenster. Nun hörte er, dass andere Leute ihm ins Haus folgten, hastige Schritte polterten die Treppe hoch. In dem Zimmer stand ein Bett, und darin lag jemand; es war Dalor. Kindan schüttelte ihn, bis er die Augen aufschlug und ihn benommen anstarrte.
»Raus aus dem Bett, Dalor. Komm mit mir!«, schrie Kindan ihn an. »Das Haus ist voller Stickluft, du musst sofort nach draußen.« Ohne lange zu fackeln packte er Dalor beim Arm. Doch der war so wackelig auf den Beinen, dass Kindan ihn stützen musste. So schnell es ging, führte er Dalor, der sich schwer gegen ihn lehnte, aus dem Zimmer, wobei er selbst gegen ein Schwindel-gefühl ankämpfen musste.
In der Diele traf er zwei Männer. Einer griff sich Dalor und hievte ihn sich über die Schulter. Der andere tat dasselbe mit Kindan, ohne Rücksicht auf dessen Proteste.
Auf einmal war Kindan draußen; er lag rücklings im Schnee und bemühte sich, langsam und tief einzuatmen.
Sein Kopf schmerzte.
* * *
Irgendetwas stimmte nicht. Jemand rief ihren Namen, doch der Rufer schien sich in weiter Ferne zu befinden.
»Nuella! Nuella!« Sie erkannte Zenors Stimme. Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln. Zenor. Sie mochte ihn sehr gern. Er war ihr Freund. Das erste Kind im Camp, an das sie sich angeschlossen hatte. Ihr einziger Freund. Sie wollte sich bewegen, doch ihre Arme und Beine fühlten sich schwer an, als bestünden sie aus Stein.
»Nuella!« Zenors Stimme klang näher. Wie durch einen dichten Nebel bekam Nuealla mit, dass eine Tür geöffnet wurde, dann spürte sie, wie jemand nach ihr griff und sie schüttelte. Irgendwer holte sie aus dem Bett und zog sie aus dem Zimmer.
»Im Haus ist Stickluft, Nuella - ich muss dich nach draußen bringen«, erklärte Zenor hastig.
Stickluft?, hallte es in Nuellas Kopf nach. Nach drau-
ßen bringen? Sie fühlte sich vage beunruhigt, doch sie wollte jetzt nicht nachdenken, dazu war sie viel zu träge und zu schläfrig. Aber sie durfte nicht nach draußen.
»Lass mich hier«, murmelte sie. Doch Zenor, der sie keuchend die Treppe hinunter schleppte, hörte gar nicht, was sie sagte.
* * *
»Geht es dir gut Junge?«, erkundigte sich Meister Zist, der neben Kindan auf dem Boden kniete. Kindan nickte und bereute sogleich, dass er den Kopf überhaupt bewegt hatte. Er wedelte schwach mit der Hand. »Die anderen sind gerettet, Kindan«, erzählte der Harfner, der sich denken konnte, welche Frage dem Jungen auf der Seele brannte. »Dass sie noch leben, haben sie nur dir zu verdanken.«
Eine weitere Person ließ sich neben ihm auf die Knie nieder. Es war Natalon. »Danke, Junge. Wenn du nicht so umsichtig gehandelt hättest, wären wir alle im Schlaf gestorben.«
Kindan versuchte sich hinzusetzen, brachte ein dünnes Lächeln zuwege und sah sich um, wobei er den Kopf nur sehr vorsichtig drehte. Jenella wurde gerade in eine Decke gehüllt, und über ihre Wangen strömten Tränen; Swanee war bei ihr und hustete unaufhörlich.
Kindan kniff leicht die Augen zusammen, als er Zenor sah, der einem jungen Mädchen half, wieder zu Atem zu kommen. Dann schaute er Meister Zist an und hob fragend die Augenbrauen. Der Harfner erwiderte seinen Blick und deutete ein Kopfschütteln an.
Kindan rappelte sich hoch, ohne auf die stechenden Schmerzen hinter seinen Augen zu
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