Drachenzauber
Ritter ausgebildet wurde. Sollte er es sie einfach versuchen lassen?
Olivia bemerkte sein Zögern. Das war der Moment, auf den sie gewartet hatte. Das war ihre Chance!
»Vater. Wenn ich im September den Knappenkampf gewinne, darf ich dann Ritter werden? Versprich es!«
Sir Bertram blinzelte. Was? Den Knappenkampf? Den angesehensten Wettbewerb für junge Knappen im ganzen Königreich? Er konnte nicht anders. Er fing so laut an zu lachen, dass er fast an seinem Schnurrbart erstickt wäre.
»Olivia! Mein liebes Kind! Was für eine Idee! Du würdest noch nicht mal zur Teilnahme zugelassen ...«
»Doch, das würde ich«, beharrte Olivia, ohne auf diesen Heiterkeitsausbruch einzugehen. »Ich könnte mich als Junge verkleiden. Du musst nur unterschreiben, dass ich nicht länger als ein Jahr trainiert habe, was ja auch stimmt.«
»Aber du hast überhaupt nicht trainiert«, sagte Sir Bertram, der immer noch hickste und gluckste. »Der erste Angriff wird dich auf den Misthaufen befördern.«
»Na ja, dann brauchst du dir ja auch keine Sorgen zu machen, dass aus mir ein Knappe wird, oder? Und ich verspreche dir, dass ich nie wieder davon anfangenwerde, wenn du mir die eine Chance gibst und ich versage!«
Das war ihre Trumpfkarte. Olivia hatte Sir Bertram seit drei Monaten angefleht. Und das alles nur für diesen einen Moment. Sie war kurz davor, endlich zu bekommen, was sie sich so lange wünschte. Es war ein meisterlicher Plan.
Sir Bertram sah eine friedvolle Zukunft mit einer neuen, sittsamen und damenhaften Olivia heraufziehen – und biss sofort an. Wahrscheinlich würde eher der Ententeich im August zufrieren, als dass Olivia den Knappenkampf gewänne. Und sollte sie es wie durch ein Wunder doch schaffen – na ja, dann hätte sie die Ausbildung wahrlich verdient.
»Abgemacht!«, sagte er.
Sie besiegelten die Sache mit einem Handschlag. Olivia sprudelte fast über vor Aufregung. Phase eins ihres Plans war überstanden. Jetzt musste sie sich nur noch etwas für Phase zwei überlegen. Und schon wäre sie auf dem besten Weg, ein Ritter zu werden!
Geheimnisse und Pläne
Der Morgen, an dem Max nach Burg Gore aufbrechen sollte, war grau, kalt und regnerisch. Max sah aus seinem Fenster und zuckte mit den Schultern. Das Wetter war so mies, wie er sich fühlte. Drei lange, harte Tage würde er mit Sir Boris, dem langweiligsten Ritter der Burg, unterwegs sein. Dann würde er im kalten, nebeligen Seenland von Gore festsitzen – sechs lange Wochen in der wenig einladenden Burg von Lady Morgana le Fay. Hoffentlich gelang es ihm, sich in nichts Ekliges verwandeln zu lassen.
Sir Bertram hatte klargemacht, dass Max am Ende des Kurses sein Zauberzertifikat haben müsse. Nur dann könne er nach seiner Rückkehr in die Zaubererlehre gehen.
Doch das dürfte ungefähr genauso schwierig werden, wie in einem Stück und nicht in Einzelteilen nachHause zurückzukehren.
Lady Morgana war süß wie Honig gewesen, als sie Max den Sonderpreis verliehen hatte: ein Aufenthalt in ihrer Sommerschule. Doch er hatte sich nicht täuschen lassen. Die mächtigste Zauberin des Königreichs hegte eindeutig einen Groll gegen ihn. Allein bei dem Gedanken an ihre harten hellblauen Augen und ihr kaltes, klirrendes Lachen hätte er sich am liebsten unter der Bettdecke verkrochen und auf die Reise nach Norden verzichtet.
Max ging zum Stall, um sein Pferd Arnold zu satteln. Insgeheim wünschte er sich, Olivia und Adolphus könnten ihn begleiten. Doch als Olivia gefragt hatte, hatte Sir Bertram sofort energisch den Kopf geschüttelt. Nicht einmal Olivia, so glaubte Max, würde es gelingen, ihn doch noch rumzukriegen.
»Hallo, Arnold«, sagte er düster, als er die Stalltür öffnete.
Arnold schüttelte die Mähne. Er begrüßte ihn mit einem freundlichen Schnauben, das ein bisschen nach »Aha, gibt’s Futter?« klang. Als Max gerade ein paar Eimer Hafer in den Trog kippte, steckte Olivia den Kopf um die Ecke.
»Alles gepackt, Max? Nichts vergessen?«
»Nein, ich glaube nicht ...«, sagte Max und warf einen Blick auf seine gepackten Taschen.
Olivia schlich hinein und fragte ganz nebenbei: »Bist du eigentlich mal dazu gekommen, noch mehr von dem Umkehrzauber zu brauen?«
Max legte die Stirn in Falten. Ganz offensichtlich versuchte Olivia, unschuldig zu klingen. Aber das war ihr misslungen. »Wozu sollte ich denn noch mehr Umkehrzauber brauchen?«
»Ach, weiß auch nicht«, sagte Olivia vage. »Bloß, also, man weiß ja nie. Was, wenn du zum
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