Drachenzauber
Bevor Oreg meine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken konnte, bemerkte ich das schmale Gesicht von Charva, dem die nördlichste Burg in Shavig gehörte. Dass er ein sehr fähiger Zauberer war, half ihm vielleicht dabei, Ländereien zu halten, wo es keiner vor ihm geschafft hatte. Im Norden von Shavig gab es eine Menge interessanter Geschöpfe, die Menschen fraßen, wo sie nur konnten. Auf seiner Miene bemerkte ich einen Ausdruck von Ehrfurcht, der mich daran erinnerte, wie ich mich gefühlt hatte, als ich zum ersten Mal gesehen hatte, wie Oreg Drachengestalt annahm.
»Ich bin ein Uralter meiner Art«, sagte Oreg. Ich weiß nicht, ob er die Wahrheit sagte oder nicht. Ich bin nicht sicher, wie lange Drachen leben - oder ob Oreg sich nun mehr für einen Drachen als für einen Menschen hielt. Aber es klang beeindruckend. »Ich war hier, als die Familie Hurog aus dieser unglücklichen Ehe zwischen Drachenblut und Menschenblut entstand, noch vor dem Sturz des Kaiserreiches«, sagte er.
Er wartete, bis die Stille sich noch weiter ausbreitete, und hob dann den Kopf und ließ den Blick über die Shavig-Leute schweifen, die in meiner Halle standen. Als er wieder sprach, war seine Stimme noch leiser als zuvor, aber es gab niemanden, der ihn nicht hören konnte. »Ich war hier, als das Kaiserreich der Menschen das Land vom westlichen bis zum östlichen Meer umfasste, von den Bergen im Norden bis zu den Gletschern des Südens, und Magier Kräfte hatten, die Ihr für legendär haltet. Ich war hier, als Farson der Menschheit seinen Fluch brachte. Ich wurde Zeuge, wie die wenigen Menschen, die überlebten, sich in verstreuten Siedlungen niederließen, in denen es kaum mehr Spuren von Zivilisation gab, und lange Zeit kaum mehr als Tiere waren, die um ihr Überleben kämpften.«
Im Feuerlicht der Halle war einiges von der Schönheit seiner Farben gedämpft, aber nichts ver-ringerte den Eindruck dessen, was er war und was er sagte. Er musste sich zusammenrollen, um zwischen Orvidin und die Tür zu passen. Abrupt faltete er die Flügel, verbarg ihre helleren, reflektierenden Unter-seiten und rief damit den Eindruck hervor, als wäre mit den dunkleren Schuppen seines Körpers mehr Dunkelheit auf die Halle herniedergegangen.
»Und nun wittere ich erneut die widerwärtige Magie, die von Farsons Fluch ausgeht. Und ich sage, hütet Euch.« Bei diesen Worten waren seine Schatten nach und nach dunkler geworden, bis er kaum mehr zu sehen war. Nach dem letzten Satz löste sich der Schatten, der ein Drache war, langsam im flackernden Licht der Fackeln auf.
»Woher wissen wir, dass das nicht nur eine Illusion war?«, fragte Orvidin - aber in seiner Stimme, als er sich mir wieder zuwandte, lag Widerstreben, das mir sagte, dass er sich aus ganzem Herzen wünschte, wirklich einen Drachen gesehen zu haben. Seine Stimme wurde jedoch fester, als er zu den anderen sagte: »Ward ist ein Zauberer.«
»Ist das denn wichtig?«, fragte Kellen und trat aus dem Gang, in dem er auf sein Stichwort gewartet hatte - zu dem ich noch nicht gekommen war. »Ihr wisst alle, was mein Bruder ist. In Euren Herzen wisst Ihr, dass er aufgehalten werden muss. Nur dass die Not nun noch größer ist, als Ihr gewusst habt.«
»Darf ich all Euch Shavig-Leuten Kellen Tallven vorstellen, bis vor Kurzem Insasse des königlichen Asyls?«, sprach ich.
Er verbeugte sich knapp vor mir, und als er sich wieder aufrichtete, trat ich vom Podium und sank vor ihm auf die Knie. Das war wichtig, hatte mein Onkel mir erklärt. Das größte Problem bestand nicht darin, die Shavig-Leute zum Rebellieren zu veranlassen, sondern darin, Kellen zu unterstützen und nicht nur mich. Das war ein weiterer Grund für meine schlichte Kleidung - ich befürchtete, dass Oreg in dieser Sache alles andere als hilfreich gewesen war.
Kellen trug die besten Stoffe, die wir hatten finden können, überwiegend Samt und gute Wolle. Das Grün und Grau seines Hauses stand ihm gut, und in den letzten paar Wochen, die er vor allem draußen verbracht hatte, hatte er die Gefängnisblässe verloren. Er sah aus, wie ein König aussehen sollte, und hielt sich auch so.
»Meine Herren«, sagte er, berührte meine Schulter und bedeutete mir aufzustehen. »Ihr habe eine Geschichte gehört, aus der Legenden gemacht werden.
Aber wie bei all diesen Legenden, gibt es einen Kern, der so grundlegend wahr ist, wie es Recht und Unrecht sind.«
Ich stand auf und trat neben ihn, wobei ich bemerkte, dass Orvidin sich gebückt
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