Drachenzauber
erschöpften Mannes, aber es war etwas, das beidem ähnelte. Wo seine Haut durch die Lumpen zu sehen war, war sie fleckig von Prellungen, Frostbeulen und vielleicht vor Dreck, aber die dunklen Flecke schienen sich auszubreiten, während er näher kam. Ohne nach links oder rechts zu schauen, ging er direkt auf mich zu.
Ich erkannte ihn nicht.
»Kann ich Euch helfen?«, fragte ich, und gleichzeitig drängte sich Garranon an mir vorbei und machte mehrere Schritte vorwärts.
»Valsilva? Was wollt Ihr denn hier?«
Sobald Garranon seinen Namen nannte, erkannte ich, dass diese schlurfende Gestalt tatsächlich Jakovens Stallmeister war, aber so wenig Ähnlichkeit mit dem leutseligen Mann hatte, dem ich begegnet war, dass es sich auch um eine vollkommen andere Spezies hätte handeln können. Nun fiel mir auch mein Traum wieder ein, in dem Jakoven nach dem Stallmeister verlangte, der zugelassen hatte, dass Garranon zusammen mit meinem Bruder davonritt.
Ich packte Garranon an der Schulter und hielt ihn fest. »Wartet«, sagte ich. »Hier stimmt etwas nicht.«
Auch andere spürten, dass etwas nicht in Ordnung war. Der Raum um den Stallmeister wurde größer, als er weiter auf Garranon und mich zukam. Etwas fiel aus seiner Hand und rollte in einen heller beleuchteten Bereich, sodass ich deutlich erkennen konnte, dass es sich um einen Finger handelte. Jemand fluchte.
Ich zog Garranon ein paar Schritte zurück.
»Valsilva? Was wollt Ihr?«, fragte Garranon wieder.
Die Gestalt blieb stehen, wo sie war - nahe genug, dass ich ihr Gesicht deutlich sehen konnte. Die dunklen Flecke waren kein Dreck und nicht einmal Prellungen, sondern verfaulendes Fleisch, dessen Gestank sich nun langsam in der Halle ausbreitete. Ich hörte, wie jemand würgte.
»Garranon«, sagte das Wesen deutlich.
Garranons Schulter wurde unter meiner Hand noch steifer, weil er es ebenfalls hörte. Ich weiß nicht, ob ich die Stimme des Stallmeisters des Königs erkannt hätte, aber die Stimme des Königs, mit der der Mann nun sprach, war mir vertraut genug.
»Jakoven«, erwiderte Garranon ruhig.
Ich bemerkte, dass Tisala jemandes Schwert in der Hand hatte (sie hatte keins getragen) und nun hinter das Ding schlich. Ihr Schwert sah nützlicher aus als das zeremoniale Kurzschwert, das ich trug.
Der Körper des Stallmeisters schüttelte traurig den Kopf, und noch während ich zusah, begann die Fäulnis, sich über die linke Wange auszubreiten »Zwan-zig Jahre, Garranon. Ich habe dir zwanzig Jahre gegeben, und du verrätst mich.«
Ich beobachtete die Augen des Stallmeisters genau. Sie sahen nur Garranon. Ich bezweifelte, ob Jakoven auch nur wusste, wo sich sein Geschöpf befand.
»Ja«, stimmte Garranon zu.
Das Wesen schlurfte vorwärts und sagte: »Siehst du, was aus denen wird, die mich verraten? Siehst du, was du diesem Mann angetan hast?«
Bevor es Garranon berühren konnte, warf ich einen magischen Schild um ihn. Nachdem ich den Trick mit dem Tor gesehen hatte, hätte mich das, was danach geschah, eigentlich nicht überraschen sollen -
aber zu meiner Verteidigung muss ich anführen, dass die beschleunigte Fäulnis des Stallmeisters mich ab-lenkte.
Der magische Schlag, der mein Schild traf, war stärker als alles, was Oreg mir je entgegengeschleudert hatte. Rote Funken sprühten und ließen kleine Brände an den großen Balken ausbrechen, die sich drei Stockwerke über unseren Köpfen befanden. Krü-ge mit Alkohol gingen rings um uns herum in Flammen auf, bis die Halle beinahe taghell beleuchtet war.
Ich schrie vor Schmerz, den der Schlag bewirkte, und verlor die Kontrolle über meinen Zauber. Aber Tisala durchbohrte das Geschöpf mit ihrem Schwert und brachte es aus dem Gleichgewicht, sodass es Garranon nicht erreichte. Stattdessen brach es in die Knie und keuchte vor Schmerz.
Tisala hatte es direkt in die Wirbelsäule getroffen, aber es schleppte sich weiter auf Garranon zu. Sie riss ihr Schwert für einen weiteren Versuch los, hielt aber inne, als es wieder zu sprechen begann.
»Es geht mir gut«, sagte es mit veränderter Stimme, die wohl die des Stallmeisters selbst war. »Ich habe nur großen Hunger. Ich werde etwas essen, und dann geht es mir wieder gut.« Bei diesen Worten fielen Büschel von Haar mit verfaulender Kopfhaut von seinem Kopf.
Ich zog Garranon zurück auf das Podium, weil er vor Schrecken oder Schuldgefühlen vollkommen erstarrt war. Ich konnte spüren, dass das Zerbrechen meines Schilds das Geschöpf irgendwie verändert
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