Drachenzauber
hatte, um etwas vom Boden aufzuheben. Ich sah es im unsicheren Licht glitzern und dachte, dass es sich um sein Messer handelte, das er fallen gelassen hatte, als Oreg erschienen war.
»Mein Bruder kümmert sich nicht um sein Königreich. Er sammelt Steuern ein, die an seine Heere gehen sollen, damit er die Königreiche verteidigen kann. Aber wo waren diese Heere, als die Vorsag Oranstein angriffen? Was hat er getan, um den Adligen zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, nachdem sie die Vorsag selbst vertrieben haben? Hat er den oransteinischen Adligen erlaubt, auf ihre Besitzungen zurückzukehren? Haverness hat sich in Callis verschanzt, weil er bei einer Rückkehr nach Estian - wie sie das Gesetz des Königs eigentlich verlangt - mit Sicherheit einem Attentäter Jakovens zum Opfer fallen würde. Und warum? Weil er Oranstein gerettet hat, als der König das nicht wollte, und meinen Bruder dabei auch noch dumm aussehen ließ. Haverness’ Hundert wird unserem Volk in Erinnerung bleiben, noch lange nachdem unsere Enkel ihren Enkeln die Geschichte erzählen. Und das kann mein Bruder nicht zulassen.«
Das Land zupfte an meiner Aufmerksamkeit, als führe jemand mit einer kleinen magischen Feder über meinen Rücken. Eine Person hatte Hurog-Land betreten, eine von finsterer Magie berührte Person. Ich nutzte meine Magie, um besser hinzuschauen, und wusste bald, dass es sich um einen einzelnen Mann handelte, der zu Fuß unterwegs war. Die Magie, über die er verfügte, war gering. Er würde nicht viel Schaden anrichten können, wenn überhaupt. Solange er Hurog nur durchquerte, würde ich ihn nicht aufhalten.
Kellen hatte seine Zuhörer inzwischen vollkommen in der Hand, und ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu.
»Mein Bruder«, sagte er gerade, »hat seine Pflichten nicht erfüllt, und ich muss mich gegen ihn stellen
- das ist genau, wovor Aethervon ihn schon vor zehn Jahren warnte. Er hat sich entschieden, dunkle Wege zu gehen, also muss ich ihm die Stirn bieten. Ward von Hurog steht hinter mir. Wer wird es ihm nach-tun?«
Es waren nicht nur die Worte, die er sagte, sondern die Art, wie er es tat. Bei seiner letzten Frage standen die Männer auf und fielen auf die Knie, bis nur noch ein alter Mann als Einziger in der Halle aufrecht stand. Orvidin ging den Mittelgang entlang, bis er nur mehr ein paar Fuß von Kellen entfernt war. Ich sah, wie Rosems Hand sich unauffällig in Richtung seines Schwerts bewegte.
»Ich kenne Euch nicht«, sagte der alte Mann, seine Stimme belegt vor Gefühlen. »Aber ich kenne diesen Welpen hier.« Er wies ruckartig mit dem Kinn zu mir. »Und ich weiß, dass das, was Ihr über Jakoven sagt, der Wahrheit entspricht. Ich weiß auch, dass das hier …«, er hielt das glitzernde Ding hoch, das er vom Boden aufgehoben hatte und das, wie ich nun sah, kein Messer war, »dass diese Schuppe hier keine Illusion ist.« Tränen liefen über seine faltigen Wangen, als er weitersprach. »Wenn es Drachen in Hurog gibt, werde ich dem Blau folgen, wie es Shavig-Männer getan haben, so lange es Shavig gibt. Und wenn der Hurogmeten Eurer Fahne folgt, kann ich nichts anderes tun.«
Selbstverständlich konnte ein solch dramatischer Augenblick nicht ewig andauern. Aber alle schienen zufrieden zu sein. Ganz Shavig, vertreten durch die Männer unter meinem Dach, würde Kellens Anspruch auf den Thron seines Bruders unterstützen, sei es, weil sie es für richtig hielten, weil sie einen Platz in einer Legende suchten oder einfach, weil es ihnen einen Grund für einen guten Kampf lieferte.
Weitere Tabletts kamen aus der Küche, überwiegend mit kleinen Kuchen und Gebäck, und mit ihnen brachten die Diener mehr Bier herein. Tosten setzte sich ans Feuer und verbrachte eine Weile damit, die Harfe zu spielen. Mit seinem üblichen guten Instinkt mied er Legenden und hielt sich an Liebes- und Kriegslieder. Wir brauchten alle eine gute Dosis Normalität, und ein paar traurige Lieder über ster-bende Liebende und Soldaten konnten sie uns liefern.
Mein Onkel Duraugh machte sich daran, die Einzelheiten des Bündnisses herauszulocken und zu ze-mentieren, als er von einer kleinen Gruppe von Shavig-Männern zur nächsten ging, mit Kellen an seiner Seite. Beckram tätschelte ermutigend meine Schulter und machte sich dann auf, um Ciarra und Tychis zu erzählen, was geschehen war.
Als ich Tychis zu Ciarra geschickt hatte, um ihr zu helfen, war der Junge alles andere als begeistert gewesen. Aber Ciarra konnte mit
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