Drachenzauber
Bruders. Er küsste die kalte Stirn und murmelte ein paar liebevolle Worte. Dann schob er den Arm unter Erdricks Schultern und Knie und zog ihn näher.
Es war nicht einfach aufzustehen, denn Erdrick wog nicht weniger als Beckram selbst, und sie waren beide keine kleinen Männer. Beckram taumelte ein wenig, passte sich dem Gewicht an und machte sich auf den Weg.
Einen Augenblick stand Beckram unbemerkt im Eingang und sah sich um. Sein Blick fiel auf Haverness und fand noch ein Dutzend weitere Adlige, die genau die Männer waren, die er suchte. Männer, deren Loyalität gegenüber dem Thron nicht bezweifelt werden konnte und die unbestechlich waren.
Zufrieden betrat er gemessenen Schrittes den Raum und ließ sich das Tempo von seinem Pulsschlag diktieren. Er wusste sofort, wann ihn die etwa hundert Personen bemerkten, die immer noch getanzt hatten, denn es wurde plötzlich still. Alle in diesem Raum wussten von den früheren Geliebten der Königin. Alle wussten, dass Beckram in der letzten Zeit ihr Geliebter gewesen war. Alle wussten, dass sie Erdrick sahen, der Beckrams Leiche zu dem König trug, der ihn umgebracht hatte.
Der König blieb, wo er war, und sah ihm mit ausdrucksloser Miene entgegen. Beckram hörte das leise Geräusch, das die Königin von sich gab, aber er hatte nur Augen für Jakoven. Als der König noch fünf Schritte entfernt war, den traditionellen Abstand für einen Lehensschwur, kniete sich Beckram nieder und legte seinen Bruder auf die weißen Marmorfliesen.
Er blieb knien.
»Mein König«, sagte er und setzte dabei seine Stimme so ein, wie sein Vater es ihn gelehrt hatte, damit sie bis in die letzten Ecken des Raums trug.
»Hurogs haben der Krone von Tallven gedient, seit es Hochkönige gibt. Mein Vater, sein Bruder, ihr Vater vor ihnen haben Euch gedient. Ich beabsichtige, das Gleiche zu tun. Haverness?«
O tapferer Mann, dachte Beckram, als er aus dem Augenwinkel sah, wie sich der Adlige aus Oranstein näherte.
Haverness wartete mit seiner Antwort, bis er hinter dem König stand. Alles genau der Tradition entsprechend, dachte Beckram mit der gleichen unheimlichen Ruhe, die er empfand, seit er den Saal betreten hatte.
»Hurog?«, fragte Haverness.
Es verblüffte Beckram, so angesprochen zu werden; man hatte ihn zuvor stets Iftahar genannt, nach dem Besitz seines Vaters, aber es war wohl angemessen. Seine Seele war nun sicher in dem kalten schwarzen Stein von Hurog eingeschlossen.
»Wie viele Männer gehen mit Euch, Haverness?«, fragte Beckram, ohne den Blick vom König zu wenden.
»Vierundachtzig.«
»Und Ihr brecht wann auf?«
»In zehn Tagen.«
»Würdet Ihr mich mitnehmen?«
»Hurogs sind hervorragende Kämpfer. Es wäre mir eine Ehre.«
Zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, sah er den König nicht mehr an. Er betrachtete das graue Gesicht und das schwarze Blut seines Zwillingsbruders. Keine staubigen Bücher mehr, dachte er.
Dann wandte er sich wieder dem König zu, denn er wollte seine Reaktion sehen. »Dann solltet Ihr den Namen Beckram von Hurog auf Eure Liste setzen.«
Ein überraschtes Keuchen erklang überall im Raum.
»Als Erstes muss ich jedoch meinen Bruder Erdrick nach Hurog bringen, um ihn zu begraben. Er hatte im Garten einen Unfall - vielleicht war es auch Selbstmord.« Beckram betrachtete die klaffende Wunde, dann sah er sich im Saal um. »Nein, ich nehme an, es war ein Unfall. Er muss gestolpert und sich an einem Dorn im Garten die Kehle aufgeschnit-ten haben.« Er hob seinen Bruder vom Boden - Erdrick wirkte nun viel leichter - und ging zur nächsten Tür. Erst als er im Flur war, bemerkte er, dass Haverness und Garranon ihn begleiteten.
»Wann brecht Ihr auf?«, fragte Garranon.
»Jetzt«, erwiderte Beckram schlicht.
»Habt Ihr genug Gold, um Euch unterwegs Pferde zu mieten? «
»Ich komme schon zurecht.«
Garranon nahm seinen Beutel ab und band ihn an Beckrams Gürtel. »Da sollte genügen.«
»Ich schicke zwei meiner Männer als Ehrengarde mit«, sagte Haverness. »Sie werden Euch an den Stallungen treffen.«
»Ich werde nicht warten.«
»Wenn sie zu spät kommen, werden Sie Euch einholen.«
Dann verließen sie ihn, und er ging den Rest des Wegs zu seinem Zimmer allein. Er musste Erdrick absetzen, um die Tür zu öffnen, und diesmal war es schwieriger, ihn wieder hochzuheben. Die Kraft seines Zornes ließ nach, und nur noch Schuld blieb.
Er legte Erdrick aufs Bett, während er packte. Er nahm Garranons Beutel und steckte ihn in
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