Drachenzauber
vertreten.
Er öffnete die Tür zum Zimmer seines Zwillingsbruders und fand es leer. Es war später, als Erdrick für gewöhnlich wach blieb, aber das Fest würde bis zum Morgengrauen dauern.
»Nun, Bruder, hast du etwa ein Mädchen verführt?
Damit musst du vorsichtig sein, ich will nicht, dass die Königin eifersüchtig …« Er hielt inne, als ihm ein anderer Gedanke kam. »Nein, das würdest du nicht tun, oder? Nicht mit der Königin.« Aber vielleicht, dachte er, war das der Grund für seine Ruhe-losigkeit an diesem Abend.
Er schaute an sich herab, um sich zu überzeugen, dass er Kleidung trug, wie Erdrick sie tragen würde, und entfernte vorsichtshalber den gelben Schal, den er ums Knie trug. Dann ging er ein klein wenig gebeugt in den Flur hinaus.
Es waren immer noch viele Menschen im Haupt-saal, also brauchte Beckram einige Zeit, um zu erkennen, dass Erdrick nicht unter ihnen war. Als er die Königin entdeckte, die mit einer ihrer Damen klatschte, entspannte er sich. Nicht, dass er geglaubt hatte, sein Bruder könne ihn so verraten, nicht wirklich.
»Erdrick?«
Er war ein besserer Erdrick, als Erdrick Beckram war, und er zögerte nicht, sofort auf den Namen seines Bruders zu reagieren. »Lord Alizon?«
Der ältere Mann wirkte müde. »Für gewöhnlich kommt Ihr nicht zu solchen Veranstaltungen, Erdrick.«
Beckram lachte das leise, halb verlegene Lachen seines Bruders. »Nun, ich bin auf der Suche nach Beckram. Er hat sich eins meiner Bücher ausgelie-hen, um eine Falte aus einem Tuch zu pressen, und jetzt kann ich es nirgendwo finden.«
»Ah.« Der Bruder des Königs zuckte die Achseln.
»Ich habe ihn hier in der letzten Zeit nicht mehr gesehen. Nach dem Essen sagte er etwas darüber, frische Luft schnappen zu wollen.«
»Dann schaue ich im Garten nach«, meinte Beckram.
Alizon nickte. »Wenn ich ihn sehe, sage ich ihm, dass Ihr nach ihm sucht.«
Als der Junge aus Shavig davonging, trank Alizon einen Schluck Wasser, um den üblen Geschmack der Angelegenheiten seines Bruders loszuwerden.
Zuerst hielt Beckram den Garten für leer. Es war ein wenig kühl, denn der Herbst würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Das Unbehagen, das ihn früher als seine Freunde nach Hause gebracht hatte, war mit der Feststellung, dass sein Bruder ihm nicht die Geliebte gestohlen hatte, nicht verschwunden.
Er stand mitten im Hof und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf. Dann beschloss er, ins Bett zu gehen.
Etwas musste mit dem Bier, das er heute Abend getrunken hatte, nicht in Ordnung gewesen sein - das erklärte doch sicher dieses seltsame Gefühl. Der verdammte Palast war zu groß, um nach seinem Bruder zu suchen, der wahrscheinlich einfach nur auf einer vergessenen Couch irgendwo seinen Rausch ausschlief.
Er ging auf den Eingang zu, der seinem Zimmer am nächsten war, aber dann hielt er inne, weil er Blut roch. Als die Luft den üppigen Geruch zu seiner Nase trug, starb etwas in ihm. Er wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass seinem Bruder etwas zugestoßen war.
»Rick?«, rief er dennoch, aber er hörte nur eine schwache Brise, die die Blätter flüstern ließ.
Ein schwindelerregendes Gefühl von Unwirklichkeit befiel ihn, als er durch das sorgfältig bepflanzte Beet ging und dem Geruch nach Tod zu der Gestalt folgte, die dort halb im Schatten verborgen lag. Das Entsetzen wich zunächst der Trauer, dann dem Zorn, je länger er in das Gesicht seines toten Bruders starrte. Er erinnerte sich an das bleiche Antlitz des letzten Geliebten der Königin, als er ertränkt aufgefunden worden war, und verfluchte sich dafür, dass er Erdrick gebeten hatte, seinen Platz einzunehmen. Er hätte es besser wissen sollen.
Der Drang, Jakoven umzubringen, war überwältigend. Er wusste, er würde es schaffen, obwohl der König einen sehr guten Ruf als Schwertkämpfer hatte.
Immerhin, wer würde schon so dumm sein, den Hochkönig bei einem Übungskampf zu besiegen? Außerdem hatte Stala Beckrams Schwertarbeit gewaltig verbessert. Ja, er konnte Jakoven umbringen. Es gab Orte, an die der König seine Wachen nicht mitnahm.
Aber wenn er das tat, würde sein Vater beide Söhne verlieren, einen an Mord und den anderen an die Axt des Scharfrichters. Beckram klammerte sich an diesen Gedanken und ertrug den Schmerz, den er mit sich brachte: Er konnte nicht offen Rache nehmen. Er würde sich um seines Vaters willen an die Schwüre gegenüber dem König halten müssen.
Vorsichtig schloss Beckram die Augen seines
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