Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
mitteilen können, von unseren Beratungen fernbleiben
muss.«
»Wir müssen es Harker auch erzählen. Er wird nicht erfreut darüber sein.«
Ich ging weiter; noch mehr wollte ich nicht hören. Das Ganze war zu absurd. Ich beschloss, dass ich ihnen genauso gut zuvorkommen
könnte.
Als Jonathan und ich uns nach dem Abendessen in unserem Zimmer ein wenig frisch machten, teilte ich ihm mit, dass ich mich
am Abend nicht zu ihnen gesellen würde.
»Aber warum?«, fragte er voller Überraschung und Sorge. »Fühlst du dich nicht wohl?«
»Es geht mir gut, das kann ich dir versichern«, antwortete ich, während ich ihm seine Krawatte und seinen Kragen zurechtzupfte.
»Aber ich bemerke ja, wie mich alle im Augenblick ansehen. Ich glaube, es wäre besser, wenn ihr so frei über eure Pläne reden
könnt, wie ihr wollt, ohne dass ich dabei bin und euch in Verlegenheit bringe.«
Jonathan nickte stumm und ging zu den anderen hinunter. Als er einige Stunden später zurückkam, hatte sich zu meinem |406| Befremden sein Verhalten völlig verändert. Er war still und reserviert, und er wich meinem Blick aus. Offensichtlich hatten
ihn die anderen beredet.
Er blieb bis weit nach Mitternacht auf und schrieb in sein Tagebuch. Als ich mich herabbeugte, um ihn auf sein dunkles Haar
zu küssen, ehe ich zu Bett ging, spürte ich, wie er vor meiner Berührung zurückzuckte. Er wünschte mir nicht einmal eine gute
Nacht.
»Es ist lächerlich«, sagte ich später zu Dracula, während wir in seinem mondhellen, hinter der hohen Mauer verborgenen Garten
unter den Bäumen spazierten. »Mein Mann behandelt mich wie eine Leprakranke. Alle glauben, dass ich mich verändert habe, aber
es ist nur die Narbe auf meiner Stirn, die in ihren Köpfen Vorurteile hat entstehen lassen und es ermöglicht hat, dass ihre
Ängste ihre Phantasie beflügelten.«
»Sie sehen, was sie sehen wollen«, pflichtete mir Dracula mit einem leichten Stirnrunzeln bei. Er nahm meine Hand und fügte
hinzu: »Ich habe letzte Nacht deine Träume gehört. Ich hatte es befürchtet, dass meine Geschichte dir Angst machen würde.
Es tut mir leid, dass ich recht hatte.«
»Ich bin froh, dass du sie mir erzählt hast.«
Er schaute mich im weißen Mondlicht an, während wir weiterschritten. »Ich habe den ganzen Nachmittag lang deinen Gedanken
gelauscht. Ich habe dem entnommen, dass du noch viel mehr über mich wissen möchtest.«
»Das gebe ich gern zu, Nicolae. Ich bin neugierig auf viele andere Dinge.«
»Soll ich jetzt weitererzählen?«
»Bitte.«
»Nun gut. Zunächst fragtest du dich, wie ich mich in Dunst oder Staub verwandle.«
»Ja!«, rief ich fasziniert. »Wie ist das nur möglich?«
»Es handelt sich um eine körperliche Verschiebung. Man |407| muss dazu seine Gedanken und gewisse Naturgewalten vollkommen beherrschen, und es ist nicht leicht zu erklären.«
»Schon wieder ein physikalisches Phänomen.«
»Ja. Selbst sehr junge Vampire können durch Ritzen verschwinden, die kaum breiter sind als eine Messerklinge. Das mit dem
Nebel und dem Staub habe ich erst sehr viel später gelernt.«
»Wie fühlt es sich an, wenn man sich als Dunst bewegt?«
»Es ist ein bisschen, als wäre man ein Gespenst. Ich kann sehen und hören, aber nichts berühren oder ertasten.«
»Und was ist mit den Tiergestalten? Können alle Vampire sie annehmen?«
»Nein. Ich habe hundertdreißig Jahre gebraucht, bis ich die Wolfsgestalt beherrschte. Und weitere achtzig, bis ich die Fledermaus
vervollkommnet hatte.«
Aus irgendeinem Grund musste ich lachen. »Zeig mir eine. Verwandle dich in eine Fledermaus!«
»Nein.«
»Warum nicht? Ich habe dich bereits als Fledermaus gesehen, sogar mehrere Male, wenn ich auch damals nicht wusste, dass du
es warst.«
»Dann wird das ausreichen müssen.«
»Warum?«
»Fledermäuse sind ganz nützlich, aber es sind hässliche kleine Gesellen. Wenn du eine solche Verwandlung mit ansiehst, würde
dich das nur abstoßen. Dieses Bild möchte ich in deinen Gedanken nicht hinterlassen.«
»Nun gut. Dann werde ein Wolf.«
Er schüttelte belustigt den Kopf. »Das mache ich nicht.«
»Du kannst es nicht, oder?«, neckte ich ihn. »Deswegen weigerst du dich. Du kannst nur eine niedere Fledermaus werden.«
»Ich kann mich sehr wohl in einen Wolf verwandeln, lass es dir gesagt sein«, antwortete er aufgebracht. »Es ist die wichtigste
Gestalt, die ich annehme, wenn ich mich ungestört von Tierblut ernähren
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