Dracula, my love
jeder machen würde. Das ist ein Naturgesetz. In Wahrheit sind meine Ernährungsgewohnheiten nicht allzu verschieden von den ihren, Mina: Blut für mich, ein gebratener Vogel oder ein anderes Tier für Sie.“
„Das ist etwas völlig anderes! Das ist wie der Unterschied zwischen Gut und Böse!“
„Ach ja? Wenn es so ist, dann steht meiner Meinung nach aber Ihr gebratener Vogel für das Böse. Denn ich töte selten, um mich zu ernähren. Ich habe derlei nicht nötig. Mir ist Menschenblut am liebsten, aber wenn es nötig ist, kann es auch Tierblut sein. Gewöhnlich trinke ich nur kleine Mengen, die der menschliche Organismus leicht ersetzen kann. Mit der Zeit verheilen die Wunden, und das Geschöpf geht unbeeinträchtigt seines Wegs. Zudem erinnert sich dank meiner Suggestionskraft selten jemand daran.“
Abgrundtiefer Hass wallte in mir auf. „Lucy ist nicht unbeeinträchtigt ihres Wegs gegangen! Sie haben sie in Whitby und London überfallen, nicht wahr?“
„Ich würde hier ungern den Ausdruck überfallen verwenden. Aber ja, ich habe bei ihr Nahrung gesucht.“
„Und dann haben Sie sie umgebracht!“
„Ich habe Lucy nicht umgebracht. Das war das Werk Ihres Doktors van Helsing.“
„Was? Wie können Sie es wagen, so etwas zu behaupten! Der Professor hat nur die falsche, die in einen Vampir verwandelte Lucy getötet, um ihre Seele zu retten. Sie jedoch haben meine Freundin ermordet! Sie haben Lucy zum Vampir gemacht! Wollen Sie das etwa leugnen?“
„Ich hege nicht den Wunsch, das zu leugnen. Ich habe Lucy auf ihren eigenen Wunsch zum Vampir gemacht. Ich habe ihr Leben auf die einzige Art und Weise gerettet, die mir zur Verfügung stand. Denn sie lag im Sterben. Und zwar nur aus dem Grund, weil der Professor sie mit seinen Bluttransfusionen allmählich umbrachte.“
Ich starrte ihn völlig entgeistert an. „Was wollen Sie damit sagen? Er versuchte, sie mit diesen Transfusionen zu retten.“
„Und doch hat er sie damit umgebracht.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Mina“, erklärte er geduldig, „Lucy hat mir erzählt, dass van Helsing bei ihr in zehn Tagen vier verschiedene Bluttransfusionen vornahm, ihr Blut von vier verschiedenen Männern übertrug. Wenn es um Blut geht, bin ich sozusagen Experte. Und obwohl die moderne Wissenschaft dies noch nicht erkannt hat, kann ich Ihnen versichern, dass es ohne Zweifel sehr unterschiedliche Sorten von Blut gibt. Ich bin überzeugt, dass man sie nicht miteinander mischen sollte. Warum meinen Sie denn, dass in den letzten Jahrzehnten so viele, um nicht zu sagen alle Patienten gestorben sind, bei denen solche Bluttransfusionen vorgenommen wurden? Diese völlig ungeeignete Therapie des Professors hat Lucy umgebracht. Es mag ja so ausgesehen haben, als hätte ihr die erste Blutübertragung genutzt, doch schon bald machte das fremde Blut sie krank. Und mit jeder folgenden Transfusion verschlimmerte sich ihr Zustand, bis sie zuletzt daran starb.“
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie lügen. Lucy war blutleer, das haben alle gesagt. Und sie war gespenstisch bleich. Immer und immer wieder haben Sie ihr Blut gesaugt und sie dann am Abgrund des Todes zurückgelassen!“
„Das ist nicht wahr. In Whitby habe ich nie so viel von ihrem Blut getrunken, dass sie krank werden oder gar in einen Vampir verwandelt werden konnte. Vielleicht litt sie, genau wie ihre Mutter, an einer ganz anderen Krankheit. In London bin ich nur zu ihr gegangen, weil sie nach mir gerufen hatte.“
„Nach Ihnen gerufen?“, wiederholte ich ungläubig. „Oh! Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich Ihnen das glaube, Herr ...“ Ich unterbrach mich und rief mir ins Gedächtnis, dass ich nicht Herrn Wagner vor mir hatte. Einen Herrn Wagner hatte es nie gegeben. Mit steigender Verzweiflung und wachsendem Abscheu fuhr ich fort: „Ich hielt Sie für einen Mann von gutem Charakter. Und nun stellt sich heraus, dass Sie überhaupt kein Mann sind, sondern ein ... ein Ding. Ein untotes Ding. Unheilig. Unwirklich. Ich mag bis jetzt blind und gutgläubig gewesen sein. Aber bitte beleidigen Sie meine Intelligenz nicht weiter, indem Sie behaupten, Lucy hätte nach Ihnen gerufen. Und wagen Sie nicht, das Andenken meiner besten Freundin zu besudeln! Ich habe Lucy wirklich und wahrhaftig geliebt, obwohl ich dachte, ich ...“ Tränen schossen mir in die Augen, und ich konnte meinen Satz nicht zu Ende sprechen.
„Ich sehe, dass es viel zu erklären gibt, wenn ich hier Klarheit schaffen
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